Weiße Papierboote folgen einem blauen Papierboot

„Agil führen“ heißt, Gruppen für eine komplexe Herausforderung zu begeistern und die Intelligenz der Gruppe zu nutzen. (Bild: Kenishirotie - Fotolia)

  • „Agile Führung“ gehört zu den verbreiteten modernen Schlagworten im Management. Dahinter verbirgt sich eine flexible Führungsweise, welche die Intelligenz der Mitarbeiter ausschöpft und Entwicklungen beschleunigt.
  • Der vermeintlich moderne Trend ist nicht so neu, wie es den Anschein hat: Schon die Gruppendynamik in der Führungslehre beinhaltet Grundzüge des agilen Managements.
  • Ein agiler Führungsstil ist vor allem in unklaren und ungewissen Situationen angebracht, wenn die Führungskraft weder das Ziel noch den Weg dorthin präzise vorgeben kann und stattdessen „auf Sicht segeln“ muss.

Oder ist die vielbeschworene Agilität, zumindest wenn es um das Thema Führung geht, „alter Wein in neuen Schläuchen“?

Eine zentrale Forderung der Protagonisten des Agilen Managements lautet: Mitarbeitergruppen und Teams sollten mit wenig Regeln und Bürokratie geführt werden, um zum Beispiel beim Entwickeln und Umsetzen neuer Ideen schneller und flexibler zu werden. Das klingt modern und richtig – doch ist das wirklich neu? Nein, denn erstens hatte eine gute Führung – von einzelnen Mitarbeitern und Teams – schon immer agile Anteile. Zweitens ist es eine Grundhaltung von  Führungskräften, Agilität im Team zu fordern, also flexibel im Denken und Verhalten zu sein.

Ende der 1960er Jahre hielt die Gruppendynamik Einzug in die Führungslehre im deutschsprachigen Raum. Fortan galt Führung als interaktiver Prozess, und zentrale Forderungen an Führung lauteten: Die Potenziale der Mitarbeiter sollen stärker genutzt und entfaltet werden. Der Chef hingegen sollte sich zurücknehmen. Nicht er oder einzelne Experten sollten die Prozesse planen; vielmehr sollten die Sichtweisen der Teammitglieder genutzt werden, um tragfähige Lösungen zu entwickeln.

Bis in die 1980er Jahre stieg die Zahl gruppendynamischer Führungsseminare kontinuierlich. Seitdem ist ihre Zahl rückläufig, obwohl „agile Führung“ nichts anderes von Führungskräften fordert. Vieles was heute unter dem Stichwort Agilität debattiert wird, kann man schon in den Klassikern der gruppendynamischen Führungsliteratur lesen – zum Beispiel in Klaus Antons Buch „Praxis der Gruppendynamik“ von 1973.

Gute Führung hatte schon immer agile Anteile
Die „Erfinder“ des sogenannten Situativen Führens, Paul Hersey und Ken Blanchard, betonten bereits: Führungskräfte sollten abhängig von der Situation und vom Reifegrad der Mitarbeiter unterschiedlich agieren. Im Führungsalltag lassen sich mehrere Führungssituationen unterscheiden, in denen ein unterschiedlicher Führungsstil angebracht ist, wenn man sich folgende Fragen stellt: Ist die Situation überschaubar oder eher ungewiss? Bin ich als Führungskraft eher als expertenorientierter Leiter gefragt oder ist eine prozesshafte Führung angesagt?

Vor einer genaueren Betrachtung dieser Führungssituationen und -stile gilt es jedoch zu klären: Wann ist eine Situation ungewiss und nicht überschaubar? Ungewissheit ist ein Zustand, der von riskanten oder ungewissen Situationen zu unterscheiden ist. Eine Situation ist riskant, wenn sie mit Risiken behaftet ist, also ein Schaden entstehen kann. Rauchen beispielsweise ist riskant – jedoch nicht ungewiss: Die mit dem Rauchen verbundenen Risiken sind bekannt und lassen sich abschätzen, Risiken lassen sich mit der Hilfe von Experten vermeiden oder minimieren. Eine Situation ist unsicher, wenn Risiken bestehen, jedoch unklar ist, ob der Schaden eintritt. In Zusammenhang mit dem Rauchen sollte man nicht von „unsicher“ sprechen, denn die Wahrscheinlichkeit einer gesundheitlichen Schädigung ist auf Dauer sehr hoch. Das Wetter hingegen ist oft eine unsichere Angelegenheit, der man jedoch mit Maßnahmen wie angemessener Kleidung, oder Blitzableitern begegnen kann. Das heißt, auch hier sprechen wir von einer Situation, in der möglicher Schaden vorhersehbar und vermeidbar ist.

Ungewiss ist eine Situation hingegen, wenn ein Erheben und Berechnen aller Einflussfaktoren nebst ihren Wechselwirkungen nicht möglich ist. Also kennen wir auch nicht die Risiken, die damit verbundenen potenziellen Schäden und die Wahrscheinlichkeit, dass sie eintreten. Deshalb ist die Situation nicht planbar.

Ungewisse Situationen nehmen zu
In unserer sich immer schneller verändernden Welt nehmen die Zustände von Ungewissheit im Betriebsalltag zu. Für das Management steigt somit die Komplexität. Weiterhin gilt jedoch: Nicht alle Führungssituationen sind komplex. Die meisten Situationen und Aufgaben sind weiterhin überschau- und planbar. So gibt es zum Beispiel in der Buchhaltung wenig unplanbare Situationen und Aufgaben, die eine agile Führung erfordern.

Ungewissheit besteht im Management jedoch häufig bei strategischen Fragen, bei Fragen des Change-Managements und in Situationen, in denen viele Interessen und Einflussfaktoren zu beachten sind und die ein zügiges Handeln erfordern. Hier ist das agile Führen eine gute Alternative zu einer unsicheren oder unmöglichen Planung. In Unternehmen gibt es zunehmend Situationen, in denen beispielsweise längerfristige Zielvereinbarungen unsinnig sind, weil die Situation ungewiss ist. Das bedeutet jedoch nicht, dass Zielvereinbarungen generell unsinnig sind. Insbesondere für das Managen des Alltagsgeschäfts, wenn man „auf Sicht segeln“ kann, haben sie weiterhin ihre Funktion.

Situationsabhängige Führungsstile, nach K. Kissel, „Führen 3.0“. (Bild: Klaus Kissel)

Situationsabhängige Führungsstile, nachK. Kissel, „Führen 3.0“. (Bild: Klaus Kissel)

Welcher Führungsstil ist angemessen?
Welcher Führungsstil beziehungsweise welches Führungsverhalten angemessen ist, hängt von der Führungssituation ab. Generell lassen sich vier Führungsstile unterscheiden.

Führungsstil 1: Agieren. Die Situation ist chaotisch, also ungewiss; die Führungskraft ist als expertenorientierter Leiter und Entscheider gefragt. In solchen Situationen geht es nicht so sehr darum, ob eine Führungskraft alle Fragen beantworten und entscheiden kann. Entscheidender ist: Die Situation erfordert eine rasche Entscheidung und ein entschiedenes Handeln. In solchen Situationen – also zum Beispiel Krisensituationen – ist eine direktive Führung nötig. Eine prozesshafte Führung wäre falsch. In solchen Situationen muss die Führungskraft das Ruder an sich reißen, rasch Entscheidungen treffen und klare Anweisungen erteilen.

Dieser Führungsstil war beispielsweise am 11. September 2001 gefragt, als die Türme des World Trade Center in New York einstürzten. Der entschieden und scheinbar autoritär handelnde Bürgermeister von New York wurde auf diese Art zum Star. Seine einsamen Entscheidungen hätten jedoch auch falsch sein können, denn die Situation und ihre Auswirkungen waren ungewiss. Dieses Risiko müssen Führungskräfte in solchen Situationen tragen: Sie können zum Helden oder Sündenbock werden. In ungewissen Situationen lautet die die entscheidende Frage, die sich Manager stellen sollten: „Wie viel Zeit hat das System beziehungsweise gewährt mir die Situation, um eine Lösung zu erarbeiten?“ Abhängig von der Antwort müssen sie mehr oder weniger agil oder autoritär handeln.

Führungsstil 2: Delegieren und Lehren. Die Situation ist planbar. Die Führungskraft handelt entweder selbst als Experte oder delegiert die Verantwortung hierfür an einen Experten. Lehren meint: Die Führungskraft gibt die eigene Expertise als Mentor an Mitarbeiter weiter. In der Einarbeitungsphase neuer Mitarbeiter oder wenn diese neue Aufgaben übernehmen, ist dieser Führungsstil meist angemessen. Dann gilt es den Mitarbeiter mit dem Wissen zu versorgen, das er zum Erledigen seiner Aufgaben braucht. Die Führungskraft fungiert in dieser Situation als Mentor oder Coach des Mitarbeiters. Sie definiert die Ziele und gibt Feedback. Und wenn der Mitarbeiter über das nötige Wissen und Können verfügt? Dann delegiert sie auch die Verantwortung für die Aufgabe an ihn. In vielen Führungstrainings in den zurückliegenden Jahrzehnten wurde der Eindruck vermittelt, dieser Führungsstil sei in fast allen Führungssituationen – außer Krisensituationen – angebracht. Im Betriebs-alltag gibt es jedoch auch viele Routineprozesse, die schlicht gemanagt werden müssen.

Führungsstil 3: Managen. Die Situation ist überschau- und planbar. Die Führungskraft führt prozesshaft, um die Mitarbeiter mitzunehmen und deren Intelligenz zu nutzen. Dies tritt ein, wenn sich aufgrund der äußeren Einflussfaktoren ein klares Ziel definieren lässt. Je klarer das Ziel bestimmt werden kann, umso stärker greifen Elemente des Projektmanagements. Die Führungskraft agiert teilweise wie ein Projektmanager und managt den Prozess zur Zielerreichung – unter anderem, indem sie mit ihrem Team Meilensteine auf dem Weg zum Ziel definiert und deren Erreichen feiert.

Führungsstil 4: Agil. Die Situation ist unklar und ungewiss. Die Führungskraft führt prozesshaft. Dieser Führungsstil ist angesagt, wenn in einer Situation weder das Ziel noch der richtige Weg dorthin von der Führungskraft oder anderen Experten beschrieben werden kann – zum Beispiel aufgrund der vielen Einflussfaktoren oder komplexen Ausgangslage. Statt zu versuchen, alle Einflussfaktoren zu erfassen und die Komplexität mithilfe von Planung zu managen, ist es dann zielführender, im Agieren zu lernen – also zügig in die Umsetzung zu gehen und beim Gehen zu lernen.

Ein Lernen durch Ausprobieren, Scheitern, Reflektieren und Verbessern, praktizieren Kleinkinder, wenn sie lernen, aufzustehen. Wie dies genau geht, können wir Kindern in diesem Alter nicht wirklich erklären. Wir können sie bei diesem Lernprozess nur unterstützend, motivierend begleiten. Denn der Prozess des Aufstehens ist komplex, und es gibt Hunderte von Möglichkeiten, wie man vom Boden in eine Standposition kommen kann. Wichtig ist das Ergebnis und nicht der Weg.

Agile Führung ist keine Demokratie
Agiles Führen ist sinnvoll, wenn es viele kaum zu berechnende Einflussfaktoren gibt, und wenn es an der Zeit ist, die eigene Expertise für die Lösung zu hinterfragen. Die Führungskraft muss auf die Weisheit des Teams vertrauen können. Der Führungsstill funktioniert, wenn Ausprobieren, Testen und Lernen eine gute Alternative zum Planen und Managen sind, um zu neuen, kreativen Ideen und Lösungen zu gelangen.

Überträgt man das oben erwähnte Kleinkind-Beispiel auf die Haltung einer agilen Führungskraft, hat sie zahlreiche Möglichkeiten, ihr Team in Bewegung zu bringen. Sie sollte dabei klar machen, dass sie das Team in Bewegung bringen möchte, sowie einen Rahmen (zeitlich, themenzentriert etc.) für das Entwickeln einer Lösung setzen. „Agil führen“ heißt, Gruppen für eine komplexe Herausforderung zu begeistern und die Intelligenz der Gruppe zu nutzen. Dabei kann sich die Führungskraft am Ende des Prozesses auch für eine Minderheiten-Meinung im Team entscheiden. Wichtig ist, sie führt eine Entscheidung herbei.

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