Obwohl der Prozentsatz von Menschen mit solch dramatischer Sehschwäche glücklicherweise sehr gering ist, gilt der Abbau von Alltagsbarrieren für blinde und sehbehinderte Mitbürger als eines der erklärten politischen Ziele der Europäischen Union.

Die Vorgabe des Arzneimittel-Namens auf der Umverpackung zusätzlich in Brailleschrift ist im Europäischen Humankodex (Richtlinie 2001/83/EG, ergänzt durch 2004/27/EG) festgeschrieben. Die Umsetzung dieser Vorschrift ist länderspezifisch geregelt, in Deutschland beispielsweise durch das Arzneimittelgesetz (Paragraph 10 Absatz 1b).
Das Fehlen von einheitlichen Vorgaben und Standards für die gestalterische und produktionstechnische Umsetzung der Blindenschrift auf Arzneimittel-Verpackungen führte dazu, dass ein Normungsantrag beim europäischen Normungsinstitut CEN gestellt wurde. Seit Juli 2006 beschäftigt sich nun eine Arbeitsgruppe mit der Erarbeitung einer Norm. Ihre Teilnehmer sind Unternehmen und Verbände der pharmazeutischen Industrie sowie Packmittelherstellung und Vertreter von Blindenorganisationen aus zwölf Ländern. Das Verfahren, das beim Europäischen Komitee für Normung abläuft, befindet sich derzeit im Prozess der Ratifizierung. Dabei wird ein abgestimmter Entwurf durch das CEN-Enquiry final geprüft und anschließend verabschiedet. Im konkreten Fall ist mit der Ratifizierung für Anfang 2010, Veröffentlichung für Mitte 2010 und Geltung für 15. September 2010 zu rechnen.

Anforderungen und technischeMöglichkeiten divergieren

Während der Normenvorschlag entstand wurde deutlich, dass neben der national abweichenden Darstellung von Sonderzeichen die Definition der Punkthöhe den größten Diskussionsbedarf auslösen würde. Ein blinder oder stark sehbehinderter Mensch ist auf das Ertasten von Informationen in Form von erhabenen Punkten angewiesen. Dazu ist je nach individuellem Übungsgrad und Sensitivität der Fingerkuppen ein Höhenunterschied der Braillepunkte zum Untergrund von 0,1 bis 0,2mm notwendig. Erwartungsgemäß forderten die Vertreter der Blindenverbände daher eine maximale Punkthöhe, um die Lesbarkeit auch im denkbar ungünstigsten Fall sicherstellen zu können. Als maximal wurde zunächst eine Höhe von 0,5mm angedacht.

Die zusätzliche Integration dieser erhabenen Elemente in bereits eingeführte Packmittel stellt jedoch deren Produzenten vor ganz neue Herausforderungen: So muss beim Prägen von Faltschachteln mithilfe von Matrize und Patrize ein Verformen der bedruckten Kartonage um bis zu 100% der Gesamtstärke erreicht werden.Dies kann jedoch in Abhängigkeit von der Materialdicke zum Bersten der Papierfaser führen. Bei Etiketten wird durch das Drucken der Braillepunkte mit einem speziellen UV-Lack die Dicke der eingesetzten Haftmaterialien sogar um bis zu 400% übertroffen. Wegen der erforderlichen Wickelspannung führen diese Dickenunterschiede beim Wideraufrollen teilweise zu unvermeidlichen Beschädigungen des Silikonträgers. Den technischen Möglichkeiten, ein Relief herzustellen, sind demnach physikalische Grenzen gesetzt. Die für eine gute Lesbarkeit maßgebliche Punkthöhe kann nicht beliebig hoch angesetzt werden.

Kosten senken, auch im Sinne derPatienten

Die fertigungsoptimierte, maschinelle Verarbeitung von Packmitteln, die mit Braille versehen sind, erfordert abgestimmte technische Vorkehrungen vom Packmittelhersteller und auch vom Verpacker, um das marktorientierte Ausbringen der Verpackungslinien trotzdem sicherstellen zu können Beim Verarbeiten der Faltschachtelzuschnitte erfordert die fehlende Planlage ein spezifisch gestaltetes Stapelmagazin und darauf abgestimmte Zuführmechanismen. Haftetikettenrollen mit Brailleschriftpunkten neigen dagegen stark zum Teleskopieren und müssen eine sehr eng tolerierte Wickelhärte und je nach Format und Aufdruck eine spezifische Transportverpackung erhalten. Derartige Vorkehrungen haben teils erhebliche Auswirkungen auf die Herstellungskosten, die von allen Patienten getragen werden müssen.

Aufgabe der neu zu schaffenden Norm ist es also, eine Regelung im Sinne der Allgemeinheit zu finden, die zudem den Bedürfnissen der Minderheit von sehbehinderten Menschen gerecht wird. Denn der vermehrte Einsatz der Brailleschrift bedeutet für sie eine enorme Steigerung der Lebensqualität.
Im Normenentwurf einigten sich die Delegierten als Kompromiss auf eine Zielhöhe von 0,2mm und eine Mindesthöhe von 0,16mm. Eine Harmonisierung der nationalen Zeichensätze der Brailleschrift konnte dagegen nicht erreicht werden. Dies bedeutet jedoch, dass den nationalen Marktanforderungen in Form von länderspezifischen Braille-Zeichensätzen Rechnung getragen werden muss. Hersteller können diese auf einer kostenpflichtigen Website der Europäischen Blinden Union (EBU) beziehen.

Vermehrter Einsatz von Brailleschrift wahrscheinlich

Innerhalb des Norm-Entwurfes wurde der Hinweis aufgenommen, der künftig von großer Bedeutung sein könnte: Die allgemeinen Anforderungen zur Identifizierung des Packgutes mit Blindenschrift könnten auch für Verpackungen in anderen Bereichen – nicht nur für Arzneimittel – gelten. Damit ist nicht auszuschließen, dass die Anzahl von Packmitteln mit Blindenschrift deutlich steigen wird. Deren Produzenten sind also gefordert, geeignete Methoden und Prozesse zur Herstellung zu installieren. Unerlässlich dabei sind Prüfsysteme sowohl für Klarschrift als auch für die Braille-Zeichensätze.

In der Konsequenz bietet dem in der Verantwortung stehenden Arzneimittelhersteller erst der letzte Arbeitsschritt, die finale Kontrolle jedes einzelnen gefertigten Etiketts, die notwendige Sicherheit. In einer Arbeitsgruppe der Hersteller selbstklebender Etiketten und Schmalbahnconverter e.V. (VskE) wird daher derzeit intensiv an der Entwicklung technischer Lösungen gearbeitet.

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