1 Anlagenbediener

Persönliche Schutzausrüstung oder Anlage in Containment-Technik? Diese Frage erfordert eine individuelle Betrachtung.

  • Für die Pharmaproduktion bedeutet der Trend zu immer potenteren Wirkstoffen steigende Anforderungen an den Schutz des Bedienpersonals.
  • Neben den toxikologischen Werten für den Wirkstoff spielt nicht nur die Exposition der Bediener sondern auch die Häufigkeit der Produktionszyklen eine wichtige Rolle.
  • Im Einzelfall muss nach Effizienz und Wirtschaftlichkeitskriterien geprüft werden, ob in die Anlagentechnik investiert wird, oder ob es sinnvoller ist, den Bediener mit einer persönlichen Schutzausrüstung auszustatten.

Doch häufig wird übersehen, dass die Gefährdung von Mitarbeitern durch einen Wirkstoff auf dessen Weg durch die Anlage nicht überall gleich hoch ist. Das lässt sich nutzen, indem das Containment der jeweiligen Anforderung angepasst wird.

Jeder vierte pharmazeutische Wirkstoff (API) ist heute bereits als „hochaktiv“ einzustufen – Tendenz steigend. Der Grund dafür sind immer potentere Stoffe, die – zum Beispiel in der personalisierten Medizin – in immer kleineren Dosen verabreicht werden. Für die Pharmaproduktion bedeutet dies steigende Anforderungen an den Schutz des Bedienpersonals. Vollschutzanzüge sind hier eine Möglichkeit, aber oft auch eine unpraktische und für den Mitarbeiter unbequeme – und nicht zuletzt, unter Berücksichtigung einer Vollkostenrechnung – auch häufig sehr teure Option. Wesentlich sind dabei die Arbeitskosten, die durch das An- und Auskleiden entstehen.

Expositionsgrenzen auf Basis toxikologischer Daten

Der Trend geht deshalb hin zu Anlagen, die so gestaltet sind, dass das Bedienpersonal vor dem Kontakt mit toxischen Wirstoffen geschützt ist und gleichzeitig das Risiko einer Kreuzkontamination minimiert bleibt. Der Tendenz hin zu immer potenteren APIs  hat zuletzt auch die Europäische Arzneimittel-Agentur EMA Rechnung getragen. In der zum Juni 2015 aktualisierten Richtlinie EMA 169430/2012 wurde festgelegt, dass die Beurteilung der maximalen Expositionsgrenzen künftig auf toxikologischen Daten beruhen soll. Bis dato genutzte Bewertungskriterien wie „optisch sauber“ oder „1/1.000 der therapeutischen Dosis“ können deshalb nicht mehr pauschal angewendet werden. Das hat gravierende Auswirkungen auf die Anlagentechnik.

„Überall in einer Anlagenlinie finden sich Hot Spots“, erklärt Michael Maintok, Business Development Key Technologies beim Anlagenhersteller Glatt: „Diese Stellen, in der Regel Schnittstellen zwischen Anlagenteilen, müssen sorgfältig betrachtet werden.“ Im Hinblick auf die Wirtschaftlichkeit einer Containment-Lösung liegt in dieser Analyse der Schlüssel für eine kosteneffiziente Auslegung. „Ja, es gibt in einer Produktionslinie jede Menge Schnittstellen“, weiß Axel Friese, Head of Marketing Process Technology Pharma bei Glatt im südbadischen Binzen, „aber keine Sorge, denn diese lassen sich reduzieren und außerdem besteht eine Divergenz zwischen empfundener und tatsächlicher Gefährdung oder Kontamination.“

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Exposition des Bedienpersonals bei verschiedenen Tätigkeiten. Im Beispiel sind insgesamt 10,00 µg/Tag erlaubt, die Gesamtexposition erreicht allerdings nur 1,39 µg/Tag.

Wirkstoffkonzentration kann von Prozessschritt zu Prozessschritt variieren

Der Hersteller weiß, dass die Wirkstoffkonzentration in der Regel auf dem Weg durch eine Produktionslinie abnimmt, beispielsweise auf dem Weg aus dem Wirkstoffcontainer über einen Nassgranulierer in eine Wirbelschichtanlage, und von dort in die Tablettenherstellung. Mit zunehmender Verdünnung sinkt das Gefährdungspotenzial für die Mitarbeiter. Eine wichtige Kenngröße ist dabei das Occupational Exposure Limit, OEL. Es ist ein Maß für die durchschnittliche Konzentrationsbelastung des Anlagenpersonals durch einen Wirkstoff während einer 8-h-Schicht.

Um zu verstehen, wie der OEL durch Anlagentechnik beeinflusst werden kann, ist es hilfreich zu wissen, wie sich dieser zusammensetzt. Der OEL ist der Quotient aus der Konzenttrationsbelastung eines Wirkstoffs auf einen Menschen, bei der keine Folgen zu beobachten sind (NOEL) und fünf Sicherheitsfaktoren, in denen Aspekte wie die Bio-Verfügbarkeit des Wirkstoffs, die Schwere der Folgen und andere bewertet werden. Der OEL wird in fünf verschiedenen Stufen (Bereichen) in der Einheit µg/m3 angegeben. Da kurzzeitig auch höhere OEL tolerabel sind, dient das „Short-Term Exposure Limit“ (STEL) als weitere Bewertungsgröße: Es beschreibt das OEL für eine begrenzte Zeit (15 bis 30 Minuten). Der STEL kann das Drei- bis Achtfache des OEL annehmen, allerdings dürfen Bediener nie Wirkstoffkonzentrationen ausgesetzt werden, die den STEL überschreiten.

2 Beispiel für die Verdünnung

Beispiel für die Verdünnung eines Wirkstoffs im Laufe des Prozesses.

Für das Containment einer Anlage spielen neben dem OEL außerdem die Eigenschaften des Wirkstoffs, die persönliche Schutzausrüstung des Personals und die Häufigkeit eine Rolle, mit der Bediener einem API ausgesetzt sind. Über eine 8-h-Schicht berechnet sich die Gesamtexposition (PDE) als Summe der Einzelexpositionen (Produkt aus API-Konzentration an einer Stelle in der Anlage und Aufenthaltsdauer an dieser Stelle). Das auf Seite 33 in Bild und Tabelle gezeigte Beispiel verdeutlicht dies: So liegt die zulässige Exposition während einer Schicht für den Wirkstoff im Beispiel bei 10,00 µg/d. Aus den Auslegungswerten, der Häufigkeit der Tätigkeiten für Beschickung, Entleeren und Probenahme sowie der Dauer der Tätigkeiten folgen einzelne Werte für die Exposition des Personals. Aufsummiert folgt im Beispiel eine Exposition von 0,138 µg/d, d.h. der erlaubte Maximalwert wird deutlich unterschritten.

Risikoanalyse als Voraussetzung für eine optimale Containmentlösung

„Die Risikoanalyse schafft die Voraussetzungen für eine optimale Containmentlösung,“ weiß Michael Maintok. Neben den toxikologischen Werten beziehen die Ingenieure in Binzen nicht nur die Exposition der Bediener sondern auch die Häufigkeit der Produktionszyklen mit ein. Als langjähriger Betreiber einer eigenen Lohnfertigung und eines Technikums kennt der Hersteller nicht nur die Hot Spots sondern weiß auch, in welchem Maße die Gefährdung über den Prozessverlauf sinkt.

3 Wirkstoffkonzentration und OEL

Wirkstoffkonzentration und OEL / OEB. (Bilder: Glatt)

Ein Beispiel verdeutlicht dies: So gilt für einen Wirkstoff ein OEL von 1 µg/m3 und ein STEL von 5 µg/m3. In einem Hochleistungsmischer wird 1 kg des Wirkstoffs mit 99 kg eines Hilfsstoffs gemischt. Für den Hilfsstoff gilt kein OEL. Während für die Wirkstoffbeschickung hohe Containment-Anforderungen bestehen und der Transfer den Einsatz von Containment-Klappen, Isolatortechnik oder Schutzanzug erfordert, ist die Wirkstoffkonzentration nach dem Mischprozess um den Faktor 100 geringer – es gilt dann ein OEL von 100 µg/m3 und ein STEL von 500 µg/m3. Für das Handling genügt dann beispielsweie eine lokale Filterabsaugung, um die Bediener auch ohne Schutzanzug zu schützen.

„Berücksichtigt man den Verdünnungsgrad, dann ergeben sich ganz andere Anforderungen an das Containment“, erklärt Axel Friese: „Es geht nicht darum, die Sicherheit zu reduzieren, sondern wir reduzieren den Schwierigkeitsgrad.“ Im genannten Beispiel folgt auf den Mischprozess eine Wirbelschichtgranulation, der sich eine Tablettierung und ein Tablettencoater anschließen. Während auch für die Granulation und Tablettierung ein OEL von 100 µg/m3 gelten, sind nach dem Coaten keine weiteren Containment-Maßnahmen notwendig, weil dann kein Staub mehr entsteht.

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Michael Maintok, Business Development Key Technologies bei Glatt„Im Einzelfall muss nach Effizienz und Wirtschaftlichkeitskriterien geprüft werden, ob in die Anlagentechnik investiert wird, oder ob es sinnvoller ist, den Bediener mit einer persönlichen Schutzausrüstung auszustatten.“

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Axel Friese, Head of Marketing Process Technology Pharma bei Glatt„Ja, es gibt in einer Produktionslinie jede Menge Schnittstellen, aber keine Sorge, denn diese lassen sich reduzieren.“

Eine Frage der Wirtschaftlichkeit

Ob am Ende einer Wirtschaftlichkeitsbetrachtung eine Anlage in Containment-Technik oder aber die Low-Tech-Lösung steht, bei der das Bedienpersonal die Anlage nur im Schutzanzug betritt, ist schließlich vor allem eine Frage der Wirtschaftlichkeit. So ist der Investitionsaufwand für eine Probenahmestelle in High-Containment-Ausführung beispielsweise relativ gering im Vergleich zum Aufwand, der entsteht, wenn sich Mitarbeiter für das regelmäßige Probeziehen zunächst in einen Schutzanzug zwängen müssen. Anders sieht die Situation dagegen aus, wenn bestimmte Tätigkeiten nur selten ausgeführt werden müssen und eine, vielleicht sogar automatisierte, High-Containment-Lösung dann unverhältnismäßig teuer wäre.

„Im Einzelfall muss nach Effizienz und Wirtschaftlichkeitskriterien geprüft werden, ob in die Anlagentechnik investiert wird, oder ob es sinnvoller ist, den Bediener mit einer persönlichen Schutzausrüstung auszustatten“,  verdeutlicht Michael Maintok und sein Kollege Axel Friese ergänzt: „Für beides bieten wir technische Lösungen, und manchmal auch die hybride Lösung, bei der sowohl High Containment als auch Vollschutz für das Personal genutzt wird.“

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