Neues Rollenverständnis

Der Industriemeister heute: Veränderte Anforderungen – darum geht’s:
  • Mitarbeiterkommunikation (Verbindliche Mitarbeiter- und Zulagengespräche, Mitarbeiter sind bezüglich Gesprächsführung anspruchsvoller, strukturierte Meisterrunden und Schicht(übergabe)-Gespräche, alle Gespräche formalisiert und dokumentiert).
  • Vollkontinuierlicher Schichtbetrieb (in der Regel Dreischichtbetrieb / sieben Tage pro Woche, Kontakt mit Mitarbeiter schwieriger zu halten, Meister selbst in Vollkonti involviert = verringerte Verfügbarkeit, Veränderte Informationsflüsse/Formen der Informationsweitergabe/Delegation).
  • Führung (ausgeprägteres Selbstverständnis als Führungskraft, Führen von Führungskräften (= Schichtführern/Vorarbeitern), strukturierte Delegation von Aufgaben, Wahrnehmung/Entwicklung der Mitarbeiter als Team, Vermitteln von Unternehmensanforderungen und Begleiten der Umsetzung, Leben einer zeitgemäßen Führungskultur im Unternehmen).
  • Verantwortung (Meister verantworten klar bestimmte Bereiche und Aufgaben, Rückdelegation an Betriebsleitung schwierig, zusätzliche Themen (zum Beispiel Arbeitssicherheit / Umweltschutz), Führung und Entwicklung von Mitarbeitern ist konkrete Aufgabe).
  • Organisation (steigende Themenvielfalt und Ausfüllen von Querschnittsfunktionen, Zunahme der Verwaltungsaufgaben, höhere Frequenz von Besprechungen, Anwendung anspruchsvoller IT und Prozessleitsysteme, steigender Anspruch von Kunden und Unternehmen an Prozessqualität, umfangreiche und anspruchsvolle Datenverwaltung).
  • Betriebsgröße (Abmessung und Fläche sind deutlich gestiegen, Vielzahl parallel laufender Prozesse, hohe Führungsspanne einzelner Meister, Umsetzung von Anforderungen, Programmen, Informationsermittlung erschwert).

Als Manager vor Ort, Führungskraft ihres Teams und Moderator einer Vielzahl von Prozessen rückt für Industriemeister der chemisch-pharmazeutischen Produktion das operative Geschäft immer weiter in den Hintergrund. Genau an diesem Punkt setzt ein Qualifikationsprogramm der Darmstädter Merck KGaA an: Es greift aus dem Alltag der Führungskräfte in Meister-Funktion wesentliche Anforderungsaspekte auf und bearbeitet diese dann praxisnah in einem mehrstufigen Curriculum aus insgesamt sieben Modulen.

Die Mitarbeiter motivieren

„Die Meister tragen heute zusammen mit ihren Mitarbeitern viel mehr Verantwortung für die Qualität des Produktes als früher“, sagt Norbert Schül, seit zwölf Jahren bei Merck Betriebsleiter in der Pigmentproduktion und seit 27 Jahren im Unternehmen. Die Ansprüche an eine stabile Prozessführung und saubere Reproduzierbarkeit hätten sich erheblich erhöht. Damit müssten Meister ihren Teams die entsprechenden Anforderungen nicht nur nahe bringen, sondern die betreffenden Mitarbeiter auch motivieren und deren Einsatz vorausschauend steuern: „Ein Industriemeister muss heute immer fünf Arbeitspakete nach vorne denken – ein Vorgehen Schritt für Schritt wird der Situation längst nicht mehr gerecht“, ist Schül überzeugt. Die Grundlage, um hier erfolgreich zu sein, sieht der Betriebsleiter beim einzelnen Meister: Er müsse seine eigene Informations- und Kommunikationsqualität kontinuierlich überprüfen und entwickeln.

Das seit 2004 angebotene Qualifizierungsprogramm umfasst die Schwerpunkte Führung, Konfliktmanagement, Teamprozesse, Prioritätenmanagement, Qualität und Mitarbeiterentwicklung. Nachgelagerte Treffen sicherten den Transfer von der Theorie in die Praxis. Das Programm findet quer durch die Meister-Ebene des gesamten Unternehmens an den beiden Standorten Darmstadt und Gernsheim statt. „Durch stabile Gruppen fördern wir die Netzwerkbildung und initiieren eine eigenständige kollegiale Beratung“, erklärt Florian Reiher, selbst Industriemeister Chemie (IHK) und als Weiterbildungsmanager im Personalbereich bei Merck zuständig für fachliche und überfachliche Trainings für die Produktion.
Fast alle Mitarbeiter in Meister- oder Koordinatoren-Funktion in Produktion und Technik haben das Programm mittlerweile durchlaufen. Anfangs war die Teilnahme verpflichtend, im ersten Jahr gingen insgesamt sechs Gruppen mit je zehn bis zwölf Teilnehmern an den Start. Heute liegt die Entsendung von Meistern in der Eigenverantwortung der Bereiche oder Betriebe. Die gute Akzeptanz des Angebots schreibt Weiterbildungsmanager Reiher der großen Praxisrelevanz der Inhalte zu – und der persönlichen Berufserfahrung der Trainer von Janus Training und Beratung aus dem bayerischen Ay-ing, die als externe Dienstleister die Umsetzung verantworten. Mittlerweile geht durchschnittlich eine Qualifikationsgruppe pro Jahr an den Start. Bei einem Alter von etwa 30 bis 50 Jahren sind es meist Neueinsteiger auf Meister-Ebene, die sich mit den Herausforderungen einer Führungsaufgabe intensiver befassen.

Offenheit ist wesentliche Voraussetzung

„Die Zusammenstellung der Module ist vielseitig und deckt praxisnah alle wichtigen Bereiche ab; zudem lässt jeder Block Raum für aktuelle Probleme und den Austausch, wie andere an solche Dinge herangehen“, erzählt Marcus Behl, seit drei Jahren als Industriemeister bei Merck tätig. Dabei ist eine gewisse Offenheit der Teilnehmer eine wesentliche Voraussetzung für fruchtbare Diskussionen. Die vorherrschende Skepsis gegenüber psychologischen Ansätzen, gerade in der Persönlichkeitsentwicklung, kann der griffige Auftakt der Seminarserie meist schnell entkräften: „Das erste Modul steigt mit dem Insights-Modell ein, dabei fühlen sich die meisten Teilnehmer in ihrem Wesen erkannt, so gewinnen wir einen Vertrauensvorschuss“, erklärt Berater Christian Vordemfelde, der bei Janus unter anderem Qualifizierungen im gewerblichen Bereich verantwortet. Sind die Teilnehmer erst einmal von der Nützlichkeit psychologischer Modelle überzeugt, wächst die Bereitschaft, sie bei der täglichen Führungsarbeit zu nutzen.

Steigende Betriebsgrößen, vollkontinuierlicher Schichtbetrieb, aber auch immer mehr parallel laufende Prozesse oder eine wachsende Führungsspanne fordern bei der Mitarbeiterführung von Industriemeistern mittlerweile neue Strategien. „Allein durch den Schichtbetrieb muss man sich viel mehr um die Leute kümmern – schon um der typischen Schichtkrankheit, dass immer andere zuständig seien, entgegen zu wirken“, sagt Hubert Reichel, Meister im Bereich Chemie. Man müsse sich mit seinen Teams bewusst befassen und dem Verschieben von Verantwortung aktiv gegensteuern, so seine Überzeugung. Gespräche mit den Schichtführern oder einer kompletten Schicht gehören für ihn ebenso zum Pflichtprogramm wie die schnelle Tasse Kaffee mit zwanglosem Austausch. Den Freiraum dafür muss sich der Industriemeister schaffen – im Alltagsgeschäft gerät der Kontakt mit den eigenen Mitarbeitern sonst immer weiter ins Hintertreffen.
Über Führungsrolle und Tagesgeschäft hinaus tragen moderne Meister eine große Verantwortung für administrative Prozesse. „Der Dokumentationsaufwand in Werkstätten und Betrieben ist nicht unerheblich – nur so können wir die nötige Rechtssicherheit gewährleisten und die vom Kunden geforderte Prozessqualität nachweisen“, berichtet Gernot Poth, der seit 2005 als Koordinator in der Staplerwerkstatt tätig ist. Insgesamt sei das Spektrum an Tätigkeiten deutlich gewachsen, so sein Eindruck: Moderationsaufgaben, Präsentationen oder Vorträge laufen als Projekte neben dem Alltagsgeschäft und erhöhen Umfang und Komplexität der Aufgabe.

Die gleiche Sprache sprechen

Die Führungsspanne eines Industriemeisters bei Merck umfasst teilweise bis zu 50 Mitarbeiter. Damit sind gerade jüngere Meister schon früh am vermeintlichen Ende ihrer Karriereleiter angekommen. Hier ermöglicht das Programm seinen Absolventen die Möglichkeit, auch ohne formale Perspektive im Unternehmen ihre berufliche Weiterentwicklung aktiv voranzutreiben. Der Lohn ist ein gefüllter Werkzeugkasten, um den täglichen Herausforderungen als Führungskraft in der Produktion souverän zu begegnen. Gerade für die Bewältigung ihres häufig als schwierig empfundenen Spagats „zwischen den Stühlen“, also im Spannungsfeld ihrer Rolle als Vorgesetzter, Kumpel und langjährigem Kollegen, bekommen die Teilnehmer viele wirksame Hilfsmittel an die Hand.

Die Erweiterung von Führungsinstrumenten und persönlichem Handlungsrepertoire der Industriemeister wird auch von den Vorgesetzten der Meister positiv aufgenommen. „Wir haben heute ein gemeinsames Verständnis von Führung und sprechen die gleiche Sprache – das ist angenehm, denn es macht vieles einfacher“, erklärt Dr. Christine Persch, die als Leiterin eines Produktionsbetriebes im Werk Gernsheim drei Teilnehmer in die Qualifizierung entsandt hat. Manche Themen seien mittlerweile leichter anzugehen, insgesamt habe sich das allgemeine Miteinander positiv entwickelt, so ihre eigene Beobachtung. „Das Selbstverständnis ‚Ich bin Führungskraft’ ist bei meinen Mitarbeitern durch die Weiterbildung deutlich gewachsen“, stellt die Chemikerin zufrieden fest. Mit der Meisterqualifizierung habe nun auch im Werk eine neue Methodik bei der Führung Einzug gehalten.

 

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