anttoniart – AdobeStock fliessendes Wasser aus Flaschenhals digitalisiert

(Bild: anttoniart – AdobeStock)

Eine gemeinsame Studie von VDMA und der Unternehmensberatung McKinsey & Company hat untersucht, wie weit die Digitalisierung des Produkt- und Serviceportfolios im Maschinenbau fortgeschritten ist. Demnach liegt der Umsatzanteil für digitale Plattformen und Mehrwertdienste erst bei rund 0,7 % des Gesamtumsatzes im europäischen Maschinenbau von rund 850 Mrd. Euro.

Eine ähnliche Relation in der Umsetzung von Digitalisierungsprojekten dürfte sich in der Getränkebranche zeigen, wo die Vorteile von digitalem Zwilling, Blockchain-Lösungen, künstlicher Intelligenz und Roboter-Technologie heute schrittweise in der Praxis eingeführt werden. In der Branche bieten sich für diese digitalen Sprünge zahlreiche Anwendungsfelder: in der Produktion von Getränken und flüssigen Lebensmitteln, beim Bau von Getränkemaschinen, beim Kontakt mit dem Anwender und im After-Sales-Service, für Finanzierungskonzepte und Finanzdienstleistungen sowie bei der Gestaltung des Getränkehersteller-Kunden-Kontakts.

Mit dem Digital Twin zu weniger Ausfallzeiten

Einige der Werkzeuge aus dem Werkzeugkasten der Digitalisierung drängen sich geradezu auf für einen Einsatz in der Getränkebranche. Eines davon ist der Digital Twin. Durch die Abbildung einer Getränkemaschine in einer digitalen Version und deren Datenintegration in Software-Tools lassen sich Funktionen bereits vor dem Bau der Maschine in Echtzeit testen. Auch im laufenden Maschinenbetrieb ist der digitale Zwilling hilfreich: Ausfallzeiten vermeiden, heißt hier die Losung.

Prozessdaten lassen sich mit anderen teilen – über die Grenzen des eigenen Unternehmens hinaus. Der Maschinenhersteller kann vor einer Wartung die realen Produktionsbedingungen im Unternehmen nachstellen und die Wartungsintervalle an die tatsächliche Belastung der Maschine anpassen. Das datengebende Unternehmen behält immer die Kontrolle über die Nutzung der Daten.

Ein Anwender von Digital-Twin-­Lösungen ist beispielweise Krones. Der Hersteller von Verpackungsmaschinen simuliert und berechnet Positionierleistungen von Dreiarm-Robotern im Verpackungsprozess mit Digital-Twin-Programmen.

Leistungssteigerungen oder Zustandsdiagnosen während des laufenden Betriebs sind damit auch ohne Zugriff auf die reale Anlage möglich.

Lieferketten verfolgen per Blockchain

Verknüpfung ist auch das Grundprinzip einer weiteren digitalen Technologie mit Potenzial für die Getränkeindustrie: Blockchain-Lösungen für die Getränke- und Food-Industrie verbinden Daten fälschungssicher in unveränderlichen Verzeichnissen (Distributed Ledger) und können die komplette Lieferkette von Produkten nachvollziehen. Insbesondere für den Nachweis der Produktechtheit sind Blockchain-Lösungen bereits heute im Einsatz. Fachkreise gehen davon aus, dass sich damit Einsparungen von 31 Mrd. US-Dollar bis zum Jahr 2024 realisieren lassen – allein durch die verbesserte Nachvollziehbarkeit der Lieferketten, einen verringerten Zeitaufwand sowie einen vereinfachten Rückrufprozess.

Beim Rohstoff Malz ist die Blockchain-Technologie ein nützliches Tool: Der Bierkonzern AB Inbev, Belgien, kündigte zuletzt an, den Konsumenten von Leffe-Bier in Frankreich ab diesem Jahr über einen QR-Code Informationen zur Herkunft der Braugerste und deren Verarbeitungsprozess zu geben. Zunächst sollen dort die Getreidebauern in Nordfrankreich mit den belgischen Mälzereien in Antwerpen und der Stella-Artois-Brauerei in Leuven verknüpft werden. AB Inbev erwartet von der Technologie nicht nur einen Nutzen für den Verbraucher, sondern auch Fortschritt im Bereich der Landwirtschaft und beim dort anfallenden Umweltfußabdruck.

Auch für Sake, den traditionellen japanischen Reisschnaps, lassen sich mit Hilfe von Blockchain-Lösungen umfangreiche Produktinformationen verfügbar machen: Die Distributed-Ledger-Technologie für die Sake-Blockchain wird Informationen zu den Zutaten, dem Brauverfahren sowie Kontrollmaßnahmen in der Lieferkette zusammenführen. Die Berater, die dieses Projekt begleiten, erwarten, dass so ein höherer Preis für das Produkt erzielt werden kann.

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Der Bierkonzern AB Inbev will per Blockchain die Herkunft und Verarbeitung der Braugerste verfolgen – und die Informationen den Konsumenten zur Verfügung stellen. (Bild: AB Inbev)

Neue Whisky-Rezepte durch künstliche Intelligenz

Eine große Rolle bei der Weiterentwicklung von digitalen Lösungen in der Getränkeindustrie dürfte auch künstliche Intelligenz spielen. Branchenübergreifend für über 309 Betriebe zeigt eine Studie des Fraunhofer IAO auf, dass sich derzeit 75 % der befragten Betriebe mit Fragen zu künstlicher Intelligenz beschäftigen und 16 % bereits KI einsetzen.

70 Mio. Rezepte kann künstliche Intelligenz beispielsweise für die Whiskyherstellung generieren. Mackmyra, eine schwedische Whiskybrennerei, setzt bei der Herstellung des Whiskys darauf, um den anspruchsvollen Teil der Rezeptgenerierung zu automatisieren. Die Destillerie nutzt maschinelle Lernmodelle und Berechnungsalgorithmen mithilfe einer Datencloud für die Berechnung neuer Kombinationen von Rezepturbestandteilen. Das Unternehmen will damit dem Konsumenten innovative Geschmacksrichtungen für Whisky anbieten. Der erste Whisky basierend auf diesen Berechnungen hat es jedenfalls schon geschafft: Er wurde vom American Distilling Institute mit „Gold“ bewertet.

Auch bei der Vermeidung von Lebensmittelverschwendung kann künstliche Intelligenz helfen: Im Rahmen eines Förderprojekts wird mit Hilfe von KI daran geforscht, wie sich Lebensmittelverluste um bis zu 90 % reduzieren lassen. Dazu sind entlang der Wertschöpfungskette zwei Punkte entscheidend: die Minimierung von Überproduktion und die Vermeidung von Ausschuss. So könnte die Nachfrage der Konsumenten genauer prognostiziert werden oder die Produktions­infrastruktur befähigt werden, kurzfristig sowohl auf schwankende Nachfrage als auch auf Unterschiede in der Rohstoffqualität zu reagieren.

Roboter reinigen die Anlage

Robotik, digitaler Zwilling und künstliche Intelligenz finden sich vereint in intelligenter Reinigungsrobotik für den Innen- und Außenbereich. Ein Forscherteam des Fraunhofer-Instituts für Verfahrenstechnik und Verpackung IVV in Dresden hat modulare Reinigungsroboter entwickelt in zwei Varianten: Ein Modell fährt auf einem Förderband durch die Produktionsanlage und reinigt sie von innen, die zweite Variante reinigt Boden, Decken und Wände der Räume sowie die Außenseiten der Produktionsmaschinen. Ein ausfahrbarer Roboterarm mit Zielstrahlreiniger erreicht dabei auch höhergelegene Anlagenbereiche. Das mobile, modulare Gerät fährt selbstständig durch die Produktionshalle. Die installierte Sensorik ermittelt den Verschmutzungsgrad und passt die Reinigungsparameter wie beispielsweise den Druck und die Menge des Reinigungsschaums an.

Möglich werden soll das durch ein selbstlernendes KI-System: Es wählt die geeigneten Reinigungsparameter aus und gibt die Prozessschritte vor. Für den Prozess werden die Daten mit Hilfe einer Simulation in einem virtuellen Zwilling abgebildet. Dort wird der Verschmutzungsgrad auf das 3D-Modell der Anlage übertragen. Je nach Abstand des Reinigungsgeräts zur Oberfläche kann dann beispielweise der Sprühwasserdruck angepasst und gegebenenfalls reduziert werden.

Die intelligente Fabrik ist erreichbar

Die vernetzte, adaptive und echtzeitfähige Nachbildung der Produktion ist also in Reichweite. Was aber nicht aus den Augen verloren werden darf: Der Mensch muss die Daten interpretieren und handhaben können. Citizen Data Scientists entwickeln als Domänenexperten die Nutzung von Daten im Prozess fort. In einem Projekt unter Konsortialführung der Bitburger Braugruppe aus Rheinland-Pfalz mit der Augustiner Brauerei in München werden derzeit die datenbasierte Vorhersage von Malzverarbeitbarkeit, Läuterdauer sowie der Ausbeute der Hefeverarbeitung erarbeitet.

Insgesamt sind in der Branche aber auch Fragen nach der Vorgehensweise aktuell: Der Branchenverband VDMA empfiehlt Maschinenbauern bei digitalen Projekten eine überschaubare Projektgröße, um erste Erfahrungen zu sammeln. Und eine Gelegenheit, einige der vorgestellten Technologien kennenzulernen, bietet auch die Fachmesse Drinktec im September 2022.[jg]

Reinigungsroboter
Forscher haben ein selbstlernendes KI-System für
Reinigungsroboter entwickelt. (Bild: Fraunhofer IVV)

Entscheider-Facts

  • In der Getränkeindustrie gibt es viele Anwendungsgebiete für digitale Lösungen – von der Produktion über den Bau von Getränkemaschinen bis zum Kundenkontakt.
  • So lassen sich etwa per Blockchain Ausfallzeiten von Verpackungsmaschinen vermeiden, wie das Beispiel von Krones zeigt.
  • Außerdem kann künstliche Intelligenz selbstlernend bei der Reinigung von Anlagen helfen.

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