Reinraumtechnik

12. Okt. 2025 | 09:23 Uhr | von Kevin Denker, Co-Founder & CEO, Anticipate

Glasklare Sicherheit

KI ermöglicht 100%-Inline-Inspektion von Vials

Qualitätsmängel bei Vials können die Sicherheit des verpackten Medikaments gefährden und zu Rückrufen führen. Statt sich auf Stichproben zu verlassen, setzt ein führender Glasverpackungs-Hersteller daher auf eine 100%-Inspektion mithilfe von KI.

Conveyor belt with empty medical injection glass vials - production line

(Bild: zyabich – stock.adobe.com)

Entscheider-Facts

  • Die Qualitätssicherung in der Herstellung von Pharma-Vials erfolgt traditionell am Ende der Produktionslinie durch manuelle Stichproben.
  • Dabei wird nur ein Bruchteil der Produktion geprüft, wodurch Defekte leicht unentdeckt bleiben können.
  • Daher hat ein führenden Hersteller pharmazeutischer Glasverpackungen ein KI-gestütztes Inline-Inspektionssystem in den Produktionsprozess integriert.

Bei Pharma-Verpackungen und ganz besonders auch bei Vials gelten äußerst strenge Qualitätsstandards. Schon geringste Materialfehler oder Verunreinigungen im Glas einer Vial-Verpackung können die Sicherheit eines Medikaments beeinträchtigen. So geht ein nicht unerheblicher Teil der Rückrufe von Injektionschargen auf sichtbare Partikel im Produkt zurück – häufig verursacht durch Glasdefekte der Behälter.

Herausforderung: Manuelle Stichprobenprüfung mit Risiken

Traditionell erfolgt die Qualitätskontrolle in der Herstellung von Vials am Ende der Produktionslinie durch manuelle Stichproben. Dabei wird nur ein Bruchteil der Produktion geprüft, wodurch Defekte leicht unentdeckt bleiben können. Zudem ist die manuelle Inspektion anfällig für menschliche Faktoren: Müdigkeit und subjektive Wahrnehmung führen zu inkonsistenten Ergebnissen – die Erkennungsrate liegt oft nur bei etwa 60 bis 90 %.

Die Folge: Es besteht ein erhebliches Risiko, dass kontaminierte oder fehlerhafte Fläschchen bis zum Kunden gelangen. Wird in einer Stichprobe ein Mangel festgestellt, muss unter Umständen eine gesamte Charge nachträglich kontrolliert oder verworfen werden. Dies verursacht hohe Kosten durch Ausschuss, Nacharbeit und gegebenenfalls Lieferverzögerungen. Darüber hinaus bindet die End-of-Line-Prüfung Personal und begrenzt den Durchsatz – bei steigenden Produktionsvolumina kann sie zum Flaschenhals werden.

Lösung: KI-basierte Inline-Inspektion zu 100 %

Um diese Probleme zu lösen, wurde bei einem führenden Hersteller pharmazeutischer Glasverpackungen ein KI-gestütztes Inline-Inspektionssystem von Anticipate in den Produktionsprozess integriert. Dort prüft das System täglich mehrere hunderttausend Vials in der Produktion von Injektionsfläschchen für sensible Medikamente.

Anstatt erst am Linienende stichprobenartig zu prüfen, findet nun eine lückenlose 100%-Kontrolle jedes einzelnen Vials in Echtzeit statt, während die Glasbehälter auf dem Förderband von der Formgebung zur Verpackung transportiert werden. Hochauflösende Industriekameras erfassen jedes vorbeigleitende Fläschchen, und die Bilddaten werden von einem speziell trainierten KI-Modell (Deep Learning) analysiert. Dieses erkennt selbst kleinste Abweichungen oder Defekte zuverlässig – auch solche, die mit bloßem Auge oder klassischen Bildverarbeitungssystemen schwer zu entdecken wären.

Sobald das System eine Unregelmäßigkeit feststellt, etwa einen eingeschlossenen Fremdpartikel, einen Haarriss oder eine Formabweichung, wird das betreffende Vial automatisch ausgeschleust. Fehlerhafte Behälter werden somit unmittelbar aussortiert, bevor sie die Verpackung erreichen. Durch die nahtlose Integration der Prüfeinheit in die Förderstrecke läuft die Kontrolle ab, ohne den Produktionsfluss zu unterbrechen.

Die KI-basierte Lösung passt sich dabei flexibel an Produktvarianten und neue Fehlerbilder an. Anders als konventionelle Bildverarbeitungssysteme, die auf starr programmierten Regeln basieren, lernt das KI-Modell aus zahlreichen Beispielbildern und verbessert seine Erkennungsgenauigkeit kontinuierlich.

Qualitätsingenieure müssen nicht für jede neue Vial-Ausführung oder jeden Defekttyp mühsam Schwellenwerte einstellen – das Modell kann bei Bedarf mit zusätzlichen Daten nachtrainiert werden. Dadurch bleibt das System auch bei Änderungen im Prozess oder Produktdesign robust und treffsicher.

Vorher-Nachher: Die System-Umstellung im Überblick

Vorher: In der alten Vorgehensweise hing die Qualität einer Charge teilweise vom Zufall ab – ein nicht beprobtes fehlerhaftes Vial konnte unentdeckt bis zum Kunden gelangen und Reklamationen oder sogar Rückrufe auslösen. Wurde in der Stichprobe ein Mangel gefunden, mussten oft vorsorglich große Teile der Charge verworfen werden, was die Ausschussrate erhöhte. Außerdem verursachte die nachgelagerte Qualitätskontrolle zusätzlichen Zeit- und Personalaufwand.

Nachher: Mit dem neu eingeführten KI-basierten System wird nun jedes einzelne Fläschchen geprüft, sodass kein defektes Behältnis mehr in die Auslieferung gelangt. Die Qualität der Chargen ist dadurch konsistenter und insgesamt deutlich höher; die Reklamationsrate sank praktisch auf null. Auch der Ausschuss konnte drastisch reduziert werden, da nur noch tatsächlich fehlerhafte Einzelbehälter ausgesondert werden statt ganzer Chargen. Der Produktionsfluss verläuft reibungsloser, weil keine manuellen Prüfschritte oder Nachkontrollen mehr erforderlich sind. In der Summe stieg die Produktivität spürbar an und die Qualitätskosten gingen zurück.

Auch der Umstieg kann sich lohnen

Auch dort, wo bereits klassische Bildverarbeitungssysteme im Einsatz sind, lohnt sich der Umstieg auf KI-basierte Lösungen: Traditionelle visuelle Inspektionssysteme arbeiten mit fest definierten Regeln und Parametern. Die hohe Variabilität von Glas – wie Reflexionen, Toleranzen durch den Schmelzprozess – macht eine solche starre Programmierung jedoch fehleranfällig. Schon geringfügige Änderungen am Produkt oder in den Umgebungsbedingungen können dazu führen, dass ein klassisches System harmlose Abweichungen als Fehler meldet oder echte Defekte übersieht. Jede Anpassung der Prüfalgorithmen erfordert spezialisiertes Expertenwissen und zeitaufwändige Neuprogrammierung – ein unflexibler und kostspieliger Prozess.

KI-gestützte Bildverarbeitung dagegen erkennt komplexe Muster und verallgemeinert aus Erfahrungen. Das System identifiziert unterschiedlichste Fehlerarten auch bei wechselnden Bedingungen zuverlässig. Außerdem werden Fehlalarme und „Pseudo-Ausschuss“ deutlich reduziert, da die KI übliche Prozessschwankungen selbstständig ausgleicht und konsistentere Entscheidungen trifft. Unterm Strich bietet die KI-Lösung eine höhere Prüfgüte, Skalierbarkeit und Anpassungsfähigkeit bei geringerem Wartungsaufwand. Die Implementierung solcher Systeme ist ein wichtiger Schritt hin zur automatisierten Null-Fehler-Produktion.

Nutzen für Produktion, Qualitätssicherung und Instandhaltung

Die Einführung des Inline-Prüfsystems erzeugt einen unternehmensweiten Mehrwert, von dem mehrere Bereiche direkt profitieren:

  • Produktionsleitung: Die Fertigung kann mit maximalem Durchsatz ohne zusätzliche Unterbrechungen laufen, da die Qualitätsprüfung nahtlos integriert ist. Qualitätsprobleme werden sofort erkannt, sodass ungeplante Anlagenstopps oder aufwändige Nacharbeiten auf ein Minimum reduziert werden.
  • Qualitätssicherung: Durch die lückenlose Prüfung jedes Produkts erreicht die QS ein neues Niveau an Sicherheit. Jeder Prüfvorgang wird automatisch dokumentiert, was die Nachweisführung gegenüber Kunden und Auditoren erleichtert. Weniger Ausschuss und praktisch keine Reklamationen sorgen dafür, dass die hohen Qualitätsziele zuverlässig eingehalten werden. Außerdem ermöglichen die gesammelten Prüfdaten eine kontinuierliche Verbesserung: Statistische Auswertungen decken Prozessschwachstellen auf, und vorbeugende Maßnahmen können abgeleitet werden.
  • Instandhaltung: Wiederkehrende Defektmuster wie vermehrte Mikrorisse an einer bestimmten Stelle können auf Wartungsbedarf an einer Maschine hindeuten. Die Instandhaltung erhält durch das System frühzeitig Hinweise, wenn sich Defekte häufen und kann proaktiv eingreifen, bevor es zu größeren Störungen kommt. Gleichzeitig führt der stabilere Produktionsablauf – weniger Ausschuss, keine Prüfstopps – zu weniger ungeplanten Noteinsätzen.

Wirtschaftlichkeit: Einsparungen und schneller ROI

Die genannten Verbesserungen wirken sich deutlich auf die Wirtschaftlichkeit aus. Durch den Wegfall manueller Stichproben, die Reduktion von Ausschuss und das Vermeiden teurer Rückrufe summieren sich die jährlichen Einsparungen schnell auf einen sechsstelligen Betrag.

Eine Beispielrechnung aus der Praxis: Ein Anwender erzielte Einsparungen von rund 250.000 Euro pro Jahr. Dem gegenüber stand die Investition in die neue Inspektionslösung: Die erste Inline-Prüfstation inklusive Kameras, Beleuchtung und Software kostete rund 100.000 Euro. Um die gesamte Linie abzudecken, wurden vier Stationen installiert. Die weiteren Stationen konnten dabei mit 40 % geringeren Kosten abgedeckt werden, sodass die gesamten Einmalkosten bei ca. 280.000 Euro lagen. Die laufenden Lizenzkosten bewegen sich bei etwa 4.500 Euro pro System und Jahr – also ungefähr 18.000 Euro jährlich für alle vier Systeme. Der Return on Investment (ROI) war damit schnell erreicht: Nach etwa 15 Monaten hatten die kumulierten Einsparungen die Investitionskosten bereits wettgemacht. Mit anderen Worten begann die Lösung schon nach weniger als eineinhalb Jahren, positive Erträge für das Unternehmen zu erwirtschaften.

Vials in der Abfüllung
Vials in der Abfüllung: Pharmahersteller und Patienten müssen sich auf die Integrität von Glasverpackungen verlassen können. (Bild: Paul Reverve – stock.adobe.com)

Auch interessant