Interview mit Dr. Jürgen Hofmann Vorsitzender der EHEDG Deutschland

P+F: Welche Problemstellungen sehen Sie bei den Aussagen „Leicht zu reinigen“
Hofmann: In der Industrie ist das Verständnis für leichte Reinigungsfähigkeit häufig falsch interpretiert. Gerade im Hinblick auf Spaltfreiheit und Verbindungstechnik gibt es viele Lösungen auf dem Markt, die weit von den Hygienic Design Anforderungen entfernt sind. Viele Maschinenbauer behaupten aber, eine Konstruktion sei spaltfrei. Der Grund ist, dass sie unter „spaltfrei“ etwas anderes verstehen, als im Sinne der Reinigungsfähigkeit gemeint ist. Deshalb gibt es viele Komponenten und Apparate, die diese Anforderungen nicht erfüllen, die Anbieter aber im Produktmarketing von „spaltfrei“ oder „einfach zu reinigen“ sprechen.

In der Flüssig-Prozesstechnik herrscht die Meinung vor, das alles, was Edelstahl ist, leicht zu reinigen ist. Die Sensorik im Außenbereich, wie z.B. Lichtschranken und Näherungssensoren, werden heute aus Edelstahl produziert und dann wird gesagt, sie seien einfach zu reinigen. Allerdings müssen sie noch an die Maschine angebunden werden. Hierzu konstruiert man verstellbare Halter mit Schrauben und Spalten die alles andere als reinigbar sind. Edelstahl kann mit Chemikalien benetzt werden und der Werkstoff ist dagegen beständig, aber das bedeutet noch nicht, dass die Bauteile nach der Reinigung sauber sind.

P+F: Worauf sollten Anwender achten, wenn eine Komponente kein EHEDG-Zertifikat hat?
Hofmann: Zuerst sollten sie an der Eignung für die Verwendung zweifeln und anschließend die Konstruktion genau studieren, ob sie reinigbar und für die Anlage optimal einsetzbar ist. Diese Beurteilung ist nicht ganz einfach, so dass sich entweder der Anwender selbst schlau machen muss, oder er holt sich bei Experten Hilfe. Haben Anlagenkomponenten ein EHEDG Zertifikat, kann man sicher sein, dass sich diese einfach reinigen lassen, wenn sie entsprechend in die Anlage integriert sind.

P+F: Wie schätzen Sie den Wissensstand bei Anwendern ein?
Hofmann: Der Wissensstand in Bezug auf Hygienic Design ist meist recht gering. Die meisten Lebensmittel- und Phamahersteller wissen nur wenig über die Reinigungsfähigkeit – sie schauen sich vor allem die Funktionen einer Komponente oder Anlage an. Consultants, die hier weiterhelfen können, gibt es nicht viele.

P+F: Bereits bei der Gründung unserer Zeitschrift im Jahr 1998 war das Thema auf der Agenda. Ist die Entwicklung im Bereich hygienegerechter Konstruktionen zu langsam?
Hofmann: Es ist seither zwar viel passiert, aber die Entwicklung ist meiner Meinung nach immer noch viel zu langsam. Es könnte sich mehr tun. Das Thema Reinigungsfähigkeit ist schließlich noch älter. Die EU-Maschinenrichtlinie, die dazu Anforderungen enthält, ist schon fast 25 Jahre alt. Allerdings sind in Europa viele Maschinen im Einsatz, die den Anforderungen nicht entsprechen und damit das CE-Zeichen zu Unrecht tragen – das CE-Zeichen ist in diesen Fällen ungültig. Die Verantwortung für Kontaminationen im Produkt, die durch fehlende Reinigbarkeit hervorgerufen werden, trägt der Anlagenbauer. Die Konsequenz daraus ist vielen glaube ich nicht ganz bewusst.

P+F: Welches waren die Meilensteine der vergangenen Jahre in Richtung Reinigungsfähigkeit?
Hofmann: Ein Meilenstein war sicher, dass die EHEDG zu einer globalen Organisation gewachsen ist. Weiterhin wurde die EHEDG-Zertifizierung ausgeweitet, um unabhängig zu bestätigen, was reinigbar ist. Aber es besteht noch viel Aufklärungsbedarf, damit die Betreiber und Anlagenbauer diese Komponenten dann auch wirklich einsetzen. Denn es werden immer noch viele im Hinblick auf die Reinigbarkeit ungeeignete Komponenten eingesetzt.

P+F: Woran liegt dies?
Hofmann: Ein Beispiel: Viele Produktionsanlagen werden automatisch im CIP-Verfahren gereinigt. Rohrleitungs- und Prozessanschlüsse sind jedoch als Milchrohrverschraubung nach DIN 11851 ausgeführt. Diese ist allerdings nicht CIP-fähig, so dass es nicht möglich ist, die Anlage vollständig zu reinigen. Solange sich der Anlagenbau nicht ändert und durchgehende Hygienic Design Konzepte plant, werden wir weiterhin mit Problemen leben müssen.

P+F: Was wird von Anlagenplanern und von Betreibern am häufigsten falsch gemacht?
Hofmann: Der größte Fehler besteht darin, dass Anlagenbauer mit den Produzenten im Vorfeld kein vernünftiges Lasten- und Pflichtenheft erstellen, in dem festgehalten wird, was beide wollen. Und zwar nicht nur in Bezug auf die Funktionen einer Anlage, sondern auch, wie diese gereinigt werden soll.

P+F: Was müsste in bestehenden Anlagen gemacht werden?
Hofmann: Bestehende Anlagen auf Hygienic Design zu trimmen ist fast nicht möglich. Hier hilft nur eine Ist-Analyse der Konstruktion mit einer Anpassung der Reinigung. Damit erhöht sich meist der Reinigungsaufwand, aber auf der anderen Seite ist es dann möglich, den gewünschten hygienischen Zustand zu erreichen. Ein Umbau oder „Update“ ist daher so schwierig, weil z.B. die gesamte Rohrleitungsverlegung und -führung nicht optimal ausgelegt ist, dass die Milchrohrverschraubung mit einer CIP-fähigen Rohrleitungsverbindung ersetzt werden kann. Der Austausch von einzelnen Pumpen oder Armaturen bringt häufig nicht den gewünschten Effekt.

P+F: Eigentlich müssten die Betreiber daran interessiert sein, die Reinigungszeiten durch den Einsatz leicht zu reinigender Anlagenkomponenten reduzieren zu können. Schließlich geht es ja darum, die Effizienz einer Anlage zu erhöhen.
Hofmann: Bei Neuanlagen hilft eine genaue Planung im Vorfeld. Vor allem die Design Qualifizierung ist der entscheidende Schritt. Nur die Auswahl geeigneter Komponenten und deren reinigungsfähige Implementierung in die Anlagen ermöglicht die Effizienzsteigerung. Verschiedene Testszenarien unterstützen die Qualifizierung und helfen optimale Reinigungsprozeduren zu entwickeln. Z.B. können Sprühschattentests in Behältern helfen, geeignete Reinigungsutensilien auszuwählen, die eine kürzere Reinigungszeit und gleichzeitige Energieeinsparung ermöglichen. Es muss hier nicht immer nur die statische Sprühkugel sein. In der Pharmaindustrie wird die Qualifizierung schon teilweise angewendet, aber in der Lebensmittelindustrie sind sie noch die Ausnahme.

P+F: Mit welchen Maßnahmen könnten In bestehenden Anlagen die Reinigungszeiten reduziert werden?
Hofmann: Konstruktive Änderungen haben meist keine Auswirkungen auf die Reinigungszeiten in bestehenden Anlagen. Daher hilft oft eine Ist-Aufnahme und Reinigungsanalyse, um anschließend den Reinigungsprozess zu optimieren. Im Bereich der Behälterreinigung kann durch Einsatz von modernen Reinigungsköpfen durchaus ein Erfolg erzielt werden. Alles andere führt häufig zu mehr Aufwand in der Reinigung. Der Vorteil in der Lebensmittelindustrie ist, dass sich in den meisten Lebensmitteln keine Krankheitskeime vermehren können und dass der Mensch doch relativ viel aushält. Allerdings werden die hygienischen Anforderungen an die Lebensmittel immer höher – da die Haltbarkeit immer länger werden soll. Der Handel fordert dies und damit müssen die Maschinen den neuen Anforderungen gerecht werden.

P+F: Welche weiteren Entwicklungen sehen Sie?
Hofmann: Die EHEDG wird im Pulverbereich noch aktiver werden und dieses Feld noch stärker ausbauen. Jüngst wurde eine Arbeitsgruppe für Bäckereimaschinen gegründet. Die Grundlagen sind bereits alle da und die sind auch gut. Jetzt hapert es noch an der Umsetzung. Im Pharmabereich gibt es viele Bestrebungen in alle möglichen Richtungen. Von der Prozessseite aus wird hier viel geregelt. Die Anlagetechnik steht hierbei noch nicht so im Focus. Ist die Reinigungsvalidierung erfolgreich, spielt es keine Rolle, wie hoch der Reinigungsaufwand selbst ist. In diesem Bereich besteht bei der Umsetzung der Hygienic Design Anforderungen noch viel Optimierungspotential.

P+F: Selbst wenn man ein geniales Konzept für eine Verbesserung hätte – im validierten Prozess wird es immer schwer bleiben, so etwas dann umzusetzen.
Hofmann: Auch hier hört man oft, dass Anlagenbauer dieselben nicht reinigbaren Konstruktionen immer wieder kopieren. Wobei auch viel Neues entwickelt wird und auf den Markt kommt. Aber es geht meist wieder in Richtung Funktion – die Reinigungsfähigkeit wird immer zu wenig beachtet. Den entsprechenden hygienischen Zustand ist dann nur mit viel Aufwand möglich zu erreichen.

P+F: Was muss Ihrer Meinung nach geschehen, damit die Prozessanlagen im Hinblick auf die Reinigungsfähigkeit besser werden?
Hofmann: Die Anlagenbauer müssten sich noch mehr informieren, welche neuen Komponenten und Bauteile es in Richtung Reinigungsfähigkeit gibt. Es wird mangels Zeit und Engagement zu oft auf Altbewährtes zurückgegriffen. Es gibt mittlerweile sehr viele gute und innovative Lösungen: Deshalb ist schon festzustellen, dass in den vergangenen zwei Jahrzehnten viel passiert ist, aber die neuen Lösungen werden viel zu wenig eingesetzt. Da muss der Anlagenbau beweglicher werden und die Betreiber müssen den Mehrwert sehen.

 

ZUR PERSON
Dr. Jürgen Hofmann

Dr. Jürgen Hofmann war bis 2006 wissenschaftlicher Assistent am Lehrstuhl für Maschinen- und Apparatekunde der TU München in Weihenstephan. Heute ist er als Gutachter und Experte im Bereich Hygienic Design selbstständig tätig. Neben Lehraufträgen an der TUM und an der ETH Zürich ist er als Gutachter im Testlabor der TU München Weihenstephan zur Überprüfung und Zertifizierung von Bauteilen hinsichtlich Reinigbarkeit eingesetzt. Ferner ist er Mitglied des Executive Committees der EHEDG und verantwortlich für den Bereich Hygienic Design Principles. Er wirkte bei der Erstellung von mehreren Guidelines der EHEDG mit.

 

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