Bosch_Uwe_Harbauer

(Bild: Bosch)

Pharma+Food: Herr Harbauer, als wir uns zuletzt auf der Achema 2015 unterhielten, ging es Bosch um die Darstellung von Linienkompetenz, also Produktlösungen für jeden einzelnen Ver- bzw. Bearbeitungsschritt anbieten zu können. Ihr Auftritt auf der Interpack 2017 ist nun der vernetzten Fabrik gewidmet – die ist wahrscheinlich einfacher zu realisieren, wenn fast alle Geräte und Systeme aus einem Haus kommen?
Uwe Harbauer: Ja, das ist genau so. Und als Bosch wollen wir unseren Kunden natürlich Gesamtlösungen anbieten. Dennoch ist es mir wichtig zu betonen, dass wir auch das Geschäft mit den Einzelmaschinen weiter verfolgen – wir werden nie aufhören, Einzelmaschinen zu verkaufen. In diesem Bereich ist der Wettbewerb natürlich deutlich härter, das sieht jeder, der offenen Auges hier über die Messe läuft. Mit steigender Komplexität sinkt hingegen die Breite des Angebots. Für Bosch Packaging Technology ist es wichtig, für jeden Kunden das passende Angebot im Portfolio zu haben. Und das können wir mit der Kombination aus Einzelmaschinen, Linien und Systemen sowie den passenden Industrie 4.0 Angeboten unter Beweis stellen. Besonders spannend ist es natürlich, mit unseren Kunden zu wachsen; also etwa zunächst eine Einzelmaschine an einen kleinen Hersteller zu liefern, der im Laufe seiner Unternehmensgeschichte wächst und gemeinsam mit uns seinen Maschinenpark vergrößert.

P+F: Wie würden Sie dann die wirtschaftliche Gewichtung von Einzellösungen im Vergleich zu Gesamtlösungen beschreiben?
Harbauer: In unserer Wahrnehmung wächst die Zahl der Kunden, die sich für komplette Linien und Systeme interessieren. Und dort geht es dann automatisch auch um das Thema Digitalisierung. Denn die einzelnen Komponenten muss ich als Anbieter nicht nur mechanisch, sondern auch mit der Bedienoberfläche verbinden. Mit dem auf der Interpack vorgestellten HMI 4.0 ist es nun möglich, Bedienbarkeit komplett einheitlich zu gestalten, über das gesamte System hinweg – und dieses dann eben auch zu vernetzen. Ziel ist es, dass der Kunde Daten, die er über die verbauten Sensoren erhält, auch in eine Cloud oder einen lokalen Datenspeicher übertragen kann, von wo aus er dann mit diesen Daten arbeiten kann. Oder sie auch an Bosch übergibt, um zum Beispiel den Condition Monitoring Service zu ermöglichen. Das beginnt im Kleinen, etwa indem unsere Experten erkennen, dass ein Filter ausgetauscht werden sollte und wir diesen direkt zusenden. Es geht aber auch bis hin zur Optimierung der kompletten Linie im Sinne von Effizienz-Steigerungen. Das ist im Grunde nur dann möglich, wenn die einzelnen Komponenten miteinander kommunizieren können. Hierbei sind wir ein gutes Stück weiter gekommen – was wir auf dieser Interpack am gesamten Stand zeigen.

P+F: Das klingt in der Theorie erst einmal nach einem simplen Deal: Daten gegen Effizienz. Aber ist das in der Realität auch so? Zumindest Deutschland ist ja eher skeptisch, wenn es um Datensicherheit geht.
Harbauer: Klar, wann immer die Daten das eigene Firmennetzwerk verlassen sollen, dann wird es kritisch für die Unternehmen. An dieser Stelle zucken viele Kunden im Moment noch zurück und entscheiden sich erstmal dagegen. Mittlerweile konnten wir aber mit einzelnen Unternehmen Pilotprojekte starten, wo wir an ausgesuchten Punkten Daten aufgenommen und den Kunden gezeigt haben, was unsere Data-Mining-Gruppe aus Millionen von Daten alles berechnen kann. Von diesen Ergebnissen waren unsere Kunden begeistert und zeigten sich viel eher bereit, uns ausgewählte Datenströme zur Verfügung zu stellen. Letztendlich liegt die Entscheidung aber immer beim Kunden, wir bieten deswegen verschiedene Lösungen an: Daten und Services direkt auf der Maschine, mobil auf Tablets, auf PCs außerhalb der Anlage – also zum Beispiel au-ßerhalb eines Reinraums –, in der eigenen IT-Infrastruktur oder extern bei Bosch. Das Thema Predictive Maintenance penetrieren wir hier auf der Messe und natürlich auch bei jedem Kundenbesuch – vor allem dort, wo es um ganze Systeme geht. Aber ich gebe zu, da müssen wir noch ein wenig Überzeugungsarbeit leisten. Denn gerade Unternehmen im Pharmabereich stehen dem Thema recht ambivalent gegenüber: Sie sehen zwar die Vorteile, aber dann kommt der Moment wo sie merken „Oha, da muss ich etwas herausgeben“. Das versuchen wir unseren Kunden damit einfacher zu machen, indem wir eine eigene Cloud in Deutschland anbieten. Insgesamt liegt hier aber noch einige Arbeit vor uns.

P+F: Gehen hier, wie auch bei vielen anderen Themen, wieder die großen Vertreter der Branche vorne weg, oder sind es im Fall der Digitalisierung vielleicht eher die kleinen Unternehmen, bei denen solche Überlegungen nicht durch eine übermächtige Rechtsabteilung im Kern erstickt werden?
Harbauer: Da haben sie völlig Recht. Zwar sind wir im Gespräch mit großen Unternehmen, doch stehen diese vor genau dem genannten Problem. Bei inhabergeführten Unternehmen ist das natürlich deutlich einfacher. Wenn der Geschäftsführer von unserem Angebot überzeugt ist, dann wird er das Projekt auch umsetzen. Bei einem Vertreter von Big Pharma ist das durch viele verschiedene Stakeholder nicht ganz so simpel.

P+F: Um das noch einmal auf die Industrien herunter zu brechen, ist hier vielleicht beispielsweise die Nahrungsmittelindustrie aufgrund der geringeren Margen diesen Themen eher zugänglich?
Harbauer: Ganz klar ja. Im Food-Bereich ist das Thema Effizienz schon immer viel größer gewesen. Auch wenn man sagen muss, dass sich das zurzeit auch ein wenig verändert. Noch vor zehn Jahren liefen die Linien in der Pharmaindustrie einschichtig, manchmal auch nur drei Tage die Woche. Inzwischen haben wir auch hier an vielen Stellen ein Dreischicht-System, mit dem die Betreiber mehr oder minder rund um die Uhr produzieren. Wobei auch hier wieder zu unterscheiden ist: Bin ich bei einem Originalhersteller, einem Hersteller von Generika oder einem Lohnhersteller, der noch viel mehr auf Durchsatz achten muss? Wobei lange vor der Effizienz natürlich noch immer die Sicherheit im Pharmabereich an oberster Stelle steht.

P+F: Wir Deutschen gelten bei Digitalisierung und Datensicherheit mehr oder minder als Angsthasen. Ist Bosch also im Ausland mit diesen Themen erfolgreicher?
Harbauer: Die Deutschen und Schweizer zählen bei diesem Thema sicherlich zu den Vorsichtigsten. Im direkten Vergleich sind beispielsweise die Asiaten hier deutlich aufgeschlossener. In den USA ist es dann im Grunde wieder ähnlich problematisch wie in Deutschland. Nur ist es für diese Unternehmen natürlich kein Thema, wenn der Server in den USA steht. Am Ende ist das aber auch nicht nur eine Frage der Nationalität, sondern auch der Generation. Darum bin ich mir ganz sicher, dass hier auch die Europäer bald nachziehen werden.

P+F: Wenn Sie beim Kunden sind und die Bosch-Vision von Industrie 4.0 präsentieren, welche Fragen kommen dann eigentlich zurück? Haben die Produzenten vielleicht ganz andere Konzepte, wie sich die Industrie 4.0 umsetzen lässt?
Harbauer: Bei Pharma sind wir gewöhnlich sehr schnell beim Thema „Management Execution System“, kurz MES, was eher eine Mischung aus Industrie 3.0 und 4.0 ist. Generell würde ich sagen, dass wir uns im Dialog mit dem Kunden ein Stück weit ergänzen. Trotzdem glaube ich, dass wir mit dem Know-how der Bosch-Gruppe im Hintergrund schon ein Stück weiter sind und den Betreibern ganz neue Themen aufzeigen können. Denn wir haben natürlich große Vorteile mit unseren Erfahrungen aus anderen Industrien, beispielsweise der Automobilindustrie, und aus unseren eigenen Werken.

Am Stand auf der Interpack leuchteten nicht nur die Augen der Besucher, sondern auch die Modelle zur Industrie 4.0. (Bild: Bosch)

Am Stand auf der Interpack leuchteten nicht nur die Augen der Besucher, sondern auch die Modelle zur Industrie 4.0. (Bild: Bosch)

P+F: Inwiefern sind Erfahrungen aus anderen Bereichen eigentlich übertragbar auf die Pharmaindustrie? Man würde annehmen, dass beispielsweise im Automobil-Bereich recht unterschiedliche Mindsets dominieren als in der Wirkstoff-Produktion.
Harbauer: Pharmazeuten denken hier natürlich ein wenig anders. Aber wenn Sie beispielsweise auf unsere eigene Wafer-Fertigung schauen: Die haben wir mittlerweile zwei Pharmaunternehmen gezeigt – und die Firmenvertreter waren restlos begeistert. Das war für mich auch ein kleiner Aha-Effekt, wie man Kunden aus dieser Industrie mit dem, was Bosch als Anwender bereits selbst realisiert hat, begeistern kann. Wir können das Thema Industrie 4.0 als Bosch ja nicht nur kommunizieren, sondern auch vorleben. Aus dem erwähnten Besuch entstand dann übrigens auch ein Auftrag.

Auf dem Bosch-Stand gab es physische als auch virtuelle Lösungen zu sehen. (Bild: Bosch)

Auf dem Bosch-Stand gab es physische als auch virtuelle Lösungen zu sehen. (Bild: Bosch)

P+F: Die Digitalisierung umfasst ja mehr als „nur“ die Vernetzung der physischen Welt, sondern es entsteht parallel auch eine virtuelle Welt. So war auf der Hannover Messe in der vergangenen Woche bei einem großen Automatisierer eine Pharma-Verpackungsmaschine zu sehen. Allerdings keine aus Edelstahl, sondern Einsen und Nullen, ein digitaler Zwilling also. Gehört dies auch zu Ihrer zur Strategie der vernetzten Fabrik?
Harbauer: Daran arbeiten wir natürlich auch. Aber man muss auch ehrlicherweise sagen, dass hier noch ein langer Weg zu gehen ist. Wenngleich wir auf der Interpack schon erste Schritte hin zum Ziel zeigen, beispielsweise Applikationen mit Augmented oder Virtual Reality, ist dies noch eher Zukunftsmusik. Mit Virtual Reality zeigen wir einen Show Case, wie das Training der Zukunft aussehen könnte, beispielsweise beim Formatwechsel an einer Kapselfüllmaschine. Die Technologie lässt sich auch gut für Mockups, zum Beispiel von Isolatoren, verwenden. Dennoch stellen wir derzeit bei diesem Thema fest, dass viele Kunden doch noch das klassische Holzmodell vorziehen. Irgendwann werden diese wahrscheinlich einmal abgeschafft, aber das wird noch eine ganze Weile dauern.

P+F: Mit dem digitalen Zwilling liegt ja am Ende die komplette Anlage irgendwo digital auf dem Server. Ist das in Zeiten von Angriffen auf die IT-Landschaft nicht auch ein Punkt, der den Kunden wieder ein wenig unheimlich ist? Ein Hacker könnte dann ja faktisch den Blueprint der funktionierenden Anlage einfach einsehen bzw. herunterladen.
Harbauer: Also ich denke, dass wir an dieser Stelle beruhigen können, zumindest was das Konzept von Bosch angeht: Denn bisher ist es ja so, dass wir die digitalen Anlagen-Abbilder größtenteils zu Trainingszwecken aus eigenen Daten erstellen. Die wirklichen Details eines Herstellungsprozesses sind hierfür gar nicht nötig.

Die Fragen stellte Philip Bittermann, Redaktion

Sie möchten gerne weiterlesen?

Unternehmen

Syntegon Technology GmbH

Stuttgarter Str. 130
71332 Waiblingen
Germany