In puncto Dichtungen befinden sich Hersteller von Armaturen für Lebensmittel- und Pharmaprozesse klar in der Zwickmühle. Einerseits sollen sie die Funktion und Dichtheit ihrer Stellglieder über möglichst lange Standzeiten garantieren, andererseits bleiben die Prozess- und vor allem Reinigungsbedingungen oft eine „Black box“. Daneben sehen sie sich mit einer wahren Flut an Anforderungen und Garantiewünschen seitens der Betreiber konfrontiert. So sollen sie garantieren, dass in den eingesetzten Dichtungen keine Weichmacher enthalten sind, dass die aktuellen Richtlinien hinsichtlich Toxizität (z.B. USP Class VI) eingehalten werden und natürlich sollen die eingesetzten Dichtungen auch unverwechselbar und rückverfolgbar sein.
Allesamt Aspekte, die genügend Diskussionsstoff für das Trendforum „Dichtungstechnik in der Pharmazie und Lebensmittelindustrie“ lieferten, das von Freudenberg Process Seals am Rande der Fachmesse Technopharm im März veranstaltet wurde. Dabei war deutlich, dass sich der Zielkonflikt zwischen einem spezifikationskonformen Angebot seitens des Armaturenlieferanten und den tatsächlichen Notwendigkeiten des Prozesses nicht immer auflösen lässt. Immer häufiger fordern die von den Betreibern in Anlagenprojekten beauftragten Ingenieurbüros und Anlagenbauer Standards, die weit über die Erfordernisse des Prozesses hinausgehen.
Ein Beispiel: die aktuell im US-amerikanischen Arzneibuch (USP) niedergelegte Toxizitätsanforderung USP Class VI, die vor allem in der Biotechnologie und Medizintechnik ihre Berechtigung hat und heute in Ausschreibungen immer häufiger gefordert wird. „Die Kunden in der Lebensmittelindustrie wissen oft gar nicht, was das ist“, verdeutlicht beispielsweise Maico Ludwig, Leiter Konstruktion und Entwicklung beim Armaturenhersteller Kieselmann. Hochreine Dichtungswerkstoffe, die diese Richtlinie erfüllen und dadurch auf stabilisierende Zusätze verzichten müssen, sind dem harschen Reinigungsregime hinsichtlich Temperatur und Aggressivität der eingesetzten CIP-Chemikalien oft nicht gewachsen. Doch wie soll man dies dem ausschreibenden potenziellen Auftraggeber vermitteln?
Und so wird brav versucht, die Forderungen zu erfüllen – auch wenn diese unsinnig sind, wenn in der Spezifikation beispielsweise Normen bunt zusammengewürfelt werden, die längst ihre Gültigkeit verloren haben. Und in der Erfüllung dieser Wünsche wird der hinfällige Standard vom Lieferanten ständig mit neuem Leben gefüllt. Oft bleibt den Armaturenherstellern nur ein Weg, die in der Spezifikation festgelegten Wünsche zu erfüllen: „Die Forderungen, die von der Pharma- und Lebensmittelindustrie an uns gestellt werden, müssen wir an die Dichtungshersteller weitergeben“, bringt es Klaus Kuhn, Geschäftsführender Gesellschafter bei Kiesel Steriltechnik, auf den Punkt. Und damit dreht sich die Spirale von Jahr zu Jahr weiter, das Machbare wird zum Standard erhoben – ob notwendig und sinnvoll oder nicht.
Das Machbare wird zum Standard erhoben
Doch neben zum Teil ungerechtfertigten Anforderungen und Spezifikationen berichteten die Teilnehmer des Trendforums auch über eine ganze Reihe von Anwendungstrends, welche den Einsatz von Elastomerdichtungen in Armaturen beeinflussen. Dazu gehören:
- steigende Anforderungen hinsichtlich Sterilität – so soll Bier zukünftig eine Mindesthaltbarkeit von zwei Jahren erreichen;
- ein Trend weg von der Kaltsterilisation hin zur Heißsterilisierung;
- steigende Reinigungstemperaturen – Experten gehen davon aus, dass diese alle zwei Jahre um 0,5 K steigen – von derzeit durchschnittlich 135 °C;
- steigende Anforderungen hinsichtlich Konformität zu den einschlägigen Regelwerken sowie die
- Verwechslungs- und Fälschungssicherheit der eingesetzten Dichtungen.
Und die „To do-Liste“ für die Dichtungshersteller lässt sich beinahe beliebig fortsetzen. „In Brauereien wird heute überall die Konformität mit den FDA-Richtlinien spezifiziert“, berichtet beispielsweise Werner Schmid, Entwicklungsleiter Ventiltechnik bei Tuchenhagen. Ist das überhaupt notwendig? Einerseits beobachten die Armaturenhersteller, dass sich die Standards in der Lebensmittel- und Pharmaindustrie mehr und mehr angleichen. Andererseits ist die Betriebsweise jedoch ein wesentliches Unterscheidungsmerkmal. „In der Pharmaindustrie sind die Prozesse exakt ausgelegt und definiert. In der Lebensmittelindustrie wird viel mehr improvisiert“, berichtet Klaus Kuhn. Und das führt zwangsläufig zu Problemen hinsichtlich der Dichtungsbeständigkeit: Wenn Temperaturen, Konzentration von Reinigungsmitteln sowie deren Zusammensetzung variieren, kann das für den O-Ring schnell das Aus bedeuten.
„Dichtungshersteller sollten ihre Informationen über die Beständigkeit eines Werkstoffs praxisnäher gestalten“, wünscht sich beispielsweise Werner Schmid. „Die Aussagen in Beständigkeitslisten sind entweder pauschal oder falsch“, kontert dagegen Dr. Ulrich Liedtke, Technischer Leiter bei Freudenberg Process Seals (FPS). Denn häufig können die Armaturenhersteller dem Dichtungslieferanten gar nicht sagen, welche Reinigungsmedien unter welchen Bedingungen eingesetzt werden. Ein Umstand, der FPS dazu bewogen hat, Dichtungen zusammen mit Herstellern von Reinigungsmitteln zu testen.
„Wir wünschen uns von den Lieferanten eine Einschätzung der Lebensdauer einer Dichtung“, nennt Thomas Feldmeier, Produktmanager bei Südmo Components, einen weiteren Punkt auf der Wunschliste, und auch Klaus Kuhn merkt an, dass die Armaturenlieferanten hinsichtlich Lebensdauer-Aussagen rein auf Erfahrungswerten aufsetzen. Kuhn: „Es gibt nichts Schriftliches.“ Ein Arbeitsfeld, das auch bei FPS erkannt wurde. „Um hier zu Aussagen zu kommen, muss in der Anwendung getestet werden“, bestätigt Nicole Schneider, Produktmanager Elastomere bei FPS, und findet Zustimmung mit der Idee, einen Prüfstand für CIP/SIP-Medien zu konzipieren. Überhaupt wird die Frage nach der Bedeutung von Dichtungs-Kennwerten wie dem Druckverformungsrest für den Praxiseinsatz zum Streitpunkt. „Besser wäre eine Beschreibung, was die Dichtung im jeweiligen Markt an Eigenschaften mitbringen muss“, meint Nicole Schneider.
Heißes Eisen: Dichtungsfälschungen
Ein heißes Eisen in der derzeitigen Diskussion um Dichtungseigenschaften ist auch das Thema Fälschungssicherheit. „Wenn die Umverpackung weg ist, wird jede Dichtung zum No-Name-Produkt“, verdeutlicht Werner Schmid. Mit gravierenden Konsequenzen im Hinblick auf die Produkthaftung, Rückverfolgbarkeit und Dokumentation von Schadensfällen. Denn zwischen der Aussage, die Originaldichtung hat versagt, und dem Nachweis, dass eine billige Dichtungskopie schuld war, können Regressforderungen in beliebiger Höhe liegen.
„Der Aufwand, um die Herkunft einer Dichtung zu klären, ist enorm“, erklärt Christian Geubert, Produktmanager elastomere Formteile bei FPS. Werner Schmid sieht aus diesem Grund bereits einen Trend hin zu Formdichtungen. „Aber auch Formdichtungen können kopiert werden“, argumentiert Maico Ludwig. Die Dichtungslieferanten arbeiten deshalb an Lösungen, um Dichtungskopien leichter erkennen zu können und den Nachweis eines Originalteils einfacher zu machen.
Universaldichtung: Vision und Utopie
Und über all diesen Wünschen steht sowohl aus Anwendersicht als auch auf Seiten der Armaturenhersteller die Vision der „Universaldichtung“, mit der alle Anwendungsfälle abgedeckt werden können. „Dafür sprechen aus unserer Sicht vor allem Kostengründe und das Vermeiden von Verwechslungen“, begründet Horst Kühner, Leiter technischer Vertrieb bei Kieselmann. „Am liebsten würden wir überall eine PTFE-Dichtung einsetzen, welche die Charakteristik eines EPDM-Werkstoffs hat“, wünscht sich Maico Ludwig. Doch im Laufe der Diskussion machte sich unter den Anwesenden die Erkenntnis breit, dass diese Vision wohl eher Utopie ist und es die Teil-Universaldichtung bereits gibt: „80 Prozent aller Anwendungen werden bei uns mit EPDM-Dichtungen gemeistert“, verdeutlicht Werner Schmid.
Fazit: Die Anforderungen an Armaturendichtungen in Pharma- und Lebensmittelprozessen steigen weiter. Höhere Reinigungstemperaturen und aggressive Reinigungschemikalien erfordern immer bessere Werkstoffe und vor allem eine korrekte Auswahl. Anlagenbetreiber und planende Ingenieurbüros sollten sich bei der Spezifikation nicht am Machbaren sondern an den tatsächlichen Notwendigkeiten orientieren. Denn mit steigenden Anforderungen wird sich auch die Preisspirale weiter drehen.
„Die Forderungen, die von der Pharma- und Lebensmittelindustrie an uns gestellt werden, müssen wir an die Dichtungs-hersteller weitergeben“
Klaus Kuhn, Kiesel Steriltechnik
„Aussagen in Beständigkeitslisten sind entweder pauschal oder falsch“
Dr. Ulrich Liedtke, Freudenberg Process Seals
„Wir wünschen uns von den Lieferanten eine Einschätzung der Lebensdauer einer Dichtung“
Thomas Feldmeier, Südmo Components
„Um zu Aussagen über die Lebensdauer zu kommen, muss in der Anwendung getestet werden“
Nicole Schneider, Freudenberg Process Seals
„Wenn die Umverpackung weg ist, wird jede Dichtung zum No-Name-Produkt“
Werner Schmid, Tuchenhagen
„Der Aufwand, um die Herkunft einer Dichtung zu klären, ist enorm“
Christian Geubert, Freudenberg Process Seals
„Für eine Universaldichtung sprechen aus unserer Sicht vor allem Kostengründe und das Vermeiden von Verwechslungen“
Horst Kühner, Kieselmann
„Am liebsten würden wir überall eine PTFE-Dichtung einsetzen, welche die Charakteristik eines EPDM-Werkstoffs hat“
Maico Ludwig, Kieselmann