Die 144 verwendeten Wirkstoffe werden entweder bereits in der Krebsbehandlung eingesetzt oder befinden sich in der klinischen Zulassungsphase.
Proteine waren der zentrale Ansatzpunkt des Forschungs-Teams, da so gut wie alle Medikamente Proteine sind, auf Proteine einwirken, sie erzeugen oder abbauen.
Doch was passiert konkret, wenn eine Dosis hoch oder niedrig ist? Welche Verbindung besteht zwischen verschiedenen Zeitpunkten und der Wirkdauer? Produziert die Zelle unter dem Einfluss des Medikaments neue Proteine oder stellt sie die Produktion gewisser Proteine ein?
Dem Forschungsteam ist es nun gelungen, diese Interaktionen aufzuzeigen.
Wie ging das Forschungs-Team vor?
Sie haben die Zellen über einen Zeitraum von 18 h mit den verschiedenen Dosen behandelt. Die Proteine wurden extrahiert und mittels Massenspektrometrie untersucht. Anschließend konnte das Forschungs-Team mit den erhobenen Daten die Reaktion der Zellen auswerten.
Dadurch erhielten sie mehr als 1 Mio. Dosis-Wirkungskurven, die den Wirkmechanismus der getesteten Wirkstoffe über den Zeitraum der Behandlung hinweg abbilden.
Die Daten stehen der globalen Forschungsgemeinschaft in der Datenbank Proteomics-DB zur Verfügung.
Datenkorpus durch Komplettaufzeichnung
Warum ein genaues Verständnis dieser Vorgänge so wichtig ist, zeigt das Beispiel Krebs: Je nach Krebsart geschehen auf molekularer Ebene sehr unterschiedliche Dinge. Diese Unterschiede wirken sich maßgeblich auf die passende Therapie aus und können Anhaltspunkte für die Entwicklung neuer Medikamente liefern.
So konnten die Expertinnen und Experten auf Basis der Daten zum Beispiel zeigen, dass die Medikamentengruppe der HDAC-Inhibitoren das Immunsystem schwächen kann. Dies wirkt sich auf Therapieansätze aus, die sich gezielt das Immunsystem zu Nutze machen.
Dass das Team zu diesem Befund kommen konnte, nach dem es nicht ursprünglich gesucht hatte, liegt an der Funktionsweise der verwendeten Methode Decrypte. Im Regelfall sind Experimente im Hinblick auf eine fest definierte Fragestellung konzipiert und liefern im Idealfall für diese eine Antwort.
Decrypte hingegen zeichnet alles auf, was passiert – und produziert somit eine große Datenmenge, die Forschende nun mit Hilfe digitaler Methoden und im Hinblick auf verschiedene Fragestellungen auswerten können. Dadurch erhofft sich das Forschungsteam, dass die Ergebnisse auch Hinweise auf bisher unbekannte Wirkungen bekannter Mittel bergen.
Erkenntnisse durch Nebenwirkungen
„Viele Medikamente können mehr als wir denken“, erklärt Bernhard Küster, Professor für Proteomik und Bioanalytik an der TUM School of Life Sciences, und führt das Beispiel Aspirin an.
Dessen Wirksamkeit in der Schmerzbehandlung war Küster zufolge schon lange bekannt. Beobachtungen zeigten, dass der enthaltene Wirkstoff Acetylsalicylsäure auch eine blutverdünnende Wirkung hat. Heutzutage wird er standardmäßig auch zur Behandlung bei Schlaganfällen und Herzinfarkten eingesetzt.
„Wir gehen davon aus, dass eine ganze Reihe bereits bekannter Mittel Wirkungen entfalten kann, von denen wir bisher noch nichts wissen. Diese systematisch suchen und finden zu können, ohne auf zufällige Beobachtungen angewiesen zu sein, ist eines unserer Forschungsziele“, so Küster.