Auf der ganzen Welt werden aktuell rund 115 Forschungsprojekte zur Entwicklung eines Impfstoffs gegen das Corona-Virus durchgeführt.

Auf der ganzen Welt werden aktuell rund 115 Forschungsprojekte zur Entwicklung eines Impfstoffs gegen das Corona-Virus durchgeführt. (Bild: Rangizzz - Adobe Stock)

P+F: Derzeit ist das Rennen um einen Impfstoff gegen das neuartige Coronavirus voll im Gang. Wie sehen sie die Hersteller im Hinblick auf Produktionskapazitäten aufgestellt, wenn schlagartig mehrere Milliarden Dosen Impfstoff benötigt werden?
Vollmar: Normalerweise dauert die Entwicklung eines Impfstoffs im Durchschnitt zehn Jahre. Durch die Kooperation versuchen wir das zu beschleunigen. Universitäten, Hersteller und Behörden bündeln ihre Ressourcen und arbeiten eng zusammen. Das ist ganz entscheidend, um dann möglichst schnell möglichst viel Impfstoff zur Verfügung stellen zu können. Dabei ist wichtig zu wissen: Je nach Impfstoff benötigt man eine spezielle Produktionsplattform. Muss diese erst aufgebaut werden, dann dauert das Jahre. Deshalb muss man für den Corona-Impfstoff Kandidaten selektieren, die sich später auch produzieren lassen.

Dr. med. Jens Vollmar, medizinischer Leiter für Impfstoffe beim Hersteller Glaxo Smith Kline, GSK

Dr. med. Jens Vollmar, medizinischer Leiter für Impfstoffe beim Hersteller Glaxo Smith Kline. Bild: GSK

P+F: Noch ist unklar, welcher Impfstoff zum Schluss die Zulassung erreicht. Werden Produktionskapazitäten auch wettbewerbsübergreifend genutzt werden?
Vollmar: Natürlich wird die Industrie da zusammenarbeiten wo möglich, wir sehen das am Beispiel von Sanofi und GSK wo sich Technologien ergänzen. Aber generell ist das nicht so einfach, denn die von den Unternehmen genutzten Produktionsplattformen sind in der Regel sehr unterschiedlich, oft werden spezifische biologische Prozesse genutzt. Das kann man meist nicht einfach in kurzer Zeit ändern oder auf ein anderes Werk übertragen. Auch deshalb zielt die Zusammenarbeit der großen Hersteller darauf ab, sich sehr frühzeitig abzustimmen, damit am Ende möglichst viel Produktionskapazitäten zur Verfügung stehen.

„Nur gemeinsam können wir die Herausforderung der Impfstoffentwicklung gegen Covid-19 meistern.“

P+F: Das heißt also, Sie müssen jetzt bereits in die Produktion investieren und hoffen, dass Ihr Impfstoffkandidat erfolgreich ist und die Zulassung erhält.
Vollmar: Das ist richtig. Denn auch das Upscaling von bestehenden Kapazitäten muss vor der Zulassung geschehen, damit wir, wenn ein Impfstoff zugelassen wird, sofort große Mengen zur Verfügung stellen können. Das machen nicht nur wir, sondern auch andere Hersteller. Gerade die großen Hersteller haben viel Erfahrung in der Produktion und ganz andere Möglichkeiten als kleinere Biotech-Unternehmen. Von den täglich mehr werdenden, inzwischen über 100 Impfstoffkandidaten, werden es am Ende wahrscheinlich nur ganz wenige schaffen.

GSK und Sanofi entwickeln Impfstoff gegen Corona-Virus

Im April haben Sanofi und GSK eine Absichtserklärung zur Entwicklung eines adjuvantierten Impfstoffs gegen Covid-19 unterzeichnet. Die Zusammenarbeit bringt zwei der weltweit größten Impfstoffunternehmen zusammen. Sanofi wird sein S-Protein Covid-19-Antigen beisteuern, das auf rekombinanter DNA-Technologie basiert. Diese Technologie hat eine exakte genetische Übereinstimmung mit den auf der Oberfläche des Virus gefundenen Proteinen ergeben, und die DNA-Sequenz, die dieses Antigen kodiert, wurde in die DNA der Baculovirus-Expressionsplattform integriert, die die Grundlage für Sanofis in den USA lizenziertes rekombinantes Influenza-Produkt bildet. GSK wird seine bewährte Pandemie-Adjuvans-Technologie beisteuern. Der Einsatz eines Adjuvans (Wirkverstärker) kann in einer Pandemiesituation von besonderer Bedeutung sein, da es die Menge des pro Dosis benötigten Impfproteins verringern kann, wodurch mehr Impfstoffdosen hergestellt werden können und somit zum Schutz von mehr Menschen beigetragen wird.

„Eine Verkürzung der klinischen Testphase darf keinesfalls auf Kosten der Sicherheit gehen“

P+F: Welche neuen Technologien können genutzt werden, um schnell die notwendigen Produktionskapazitäten zu erreichen?

Vollmar: Bei dem System, das wir gemeinsam mit Sanofi entwickeln, setzen wir auf existierende und erprobte Technologien. Bei den derzeit ebenfalls stark diskutierten RNA-Impfstoffen ist das anders. Dort kommt eine genetische Information zum Einsatz, die von der Zelle aufgenommen wird. Dort wird dann das Antigen produziert. Der Vorteil dieser Methode besteht darin, dass die kurze RNA deutlich einfacher zu synthetisieren ist – also theoretisch wesentlich schneller zur Verfügung stehen kann. Aber ob dieser Ansatz funktioniert, muss sich in der Praxis noch zeigen – bisher ist noch nie ein Impfstoff auf Basis der RNA-Technologie zugelassen worden. Die Technologie ist aber sehr vielversprechend und ich hoffe es funktioniert, da wir möglichst mehrere erfolgreiche Impfstoffe brauchen, um den globalen Bedarf decken zu können.

P+F: Wie steht es um die Sicherheit eines Impfstoffs, der in so kurzer Zeit zur Produktionsreife entwickelt wird?
Vollmar: Das ist ein ganz wichtiges Thema. Eine Verkürzung der klinischen Testphase darf keinesfalls auf Kosten der Sicherheit gehen. Denn das Präparat muss nicht nur wirken, indem es eine Immunantwort auslöst, sondern vor allem auch sicher sein. Schließlich sollen damit ja Milliarden gesunde Menschen geimpft werden. So müssen beispielsweise nicht nur Nebenwirkungen betrachtet werden, sondern es muss auch sichergestellt sein, dass eine Impfung nicht den Verlauf einer Covid-19-Erkrankung verschlimmert.

P+F: In den vergangenen Wochen wurde im Hinblick auf eine Entwicklung von Impfstoffen oder Arzneimitteln gegen Covid-19 immer wieder eine Wettbewerbssituation zwischen den Ländern – zum Beispiel USA und Europa – diskutiert. Wie sehen Sie dies?
Vollmar: Aus Sicht von GSK – ein global tätiges Unternehmen – ist es uns wichtig, dass unsere Produkte und insbesondere Impfstoffe für alle Menschen auf der Welt verfügbar gemacht werden. Auch deshalb haben wir entschieden, dass unser Adjuvans nicht nur Sanofi zur Verfügung stehen soll, sondern wir haben inzwischen sieben Kooperationspartner. Im Moment machen wir das, ohne dass wir etwas dafür verlangen und wir werden bei der Bepreisung sehr verantwortungsvoll vorgehen. Schon jetzt haben wir angekündigt, dass wir das Adjuvans-System auch ärmeren Ländern zur Verfügung stellen werden. Dazu sind auch Spenden vorgesehen. Um einen gerechten Zugang zu Impfstoffen zu schaffen, arbeiten wir unter anderem eng mit der WHO zusammen.

Sanofi will Corona-Impfstoff zuerst an USA liefern

Der französische Pharmakonzern Sanofi hat einem Medienbericht zufolge mit den USA einen Vorvertrag zur Lieferung eines Impfstoffs gegen das Corona-Virus abgeschlossen. Wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung meldet, sagte Sanfoi-Vorstandschef Paul Hudson: „Die Regierung der Vereinigten Staaten hat das Recht auf die größte Vorbestellung, denn sie hat investiert, um die Risiken zu teilen“. Hintergrund seien die Subventionen der Pharmaindustrie durch die amerikanische Behörde Biomedical Advanced Research and Development Authority (Barda). Sie unterstützt Pharmaunternehmen finanziell unter der Maßgabe, dass die Entwicklung, Produktion und zumindest Teile des Verkaufs in den Vereinigten Staaten stattfinden.

P+F: Welche Voraussetzungen sollte die Politik aus ihrer Sicht schaffen, um die Impfstoffproduktion und auch die Verteilung gerecht zu gestalten?
Vollmar: Das kann z.B. mit der Global Response Initiative der WHO angegangen werden. Ich begrüße es sehr, dass diese von der EU und von vielen Ländern unterstützt wird. Es wäre natürlich schön, wenn alle Länder mitmachen würden. Covid-19 ist ein globales Problem und wir leben gemeinsam auf dieser Welt – deshalb sollten wir das gemeinsam finanzieren und die optimalen Bedingungen für die Impfstoffentwicklung und Produktion und einer gerechten Verteilung schaffen.

Wir werden in den nächsten Monaten viele Konzepte sehen und dann am Ende hoffentlich mehrere Impfstoffe haben, die dann zugelassen werden können oder zur Verfügung stehen. Deshalb ist es aus meiner Sicht ganz wichtig schon jetzt zu überlegen, wer diese Impfstoffe dann zuerst bekommt. Es ist abzuwägen: macht es Sinn eher die älteren Zielgruppen zu impfen? Oder die Jüngeren? Organisationen wie die WHO können da eine wichtige Rolle spielen. Aber wir müssen auch noch viel über die Epidemiologie über die Ausbreitung des Virus lernen, um entscheiden zu können, wo Interventionen am sinnvollsten sind. Und wir müssen für die eingesetzten Impfstoffe wissen, wo diese am besten wirken: Auch hier kann es sein, dass das Alter der Menschen eine Rolle spielt.
Ganz wichtig ist allerdings, dass die anderen Impfungen nicht vergessen werden – vor allem dann, wenn es im Herbst zu einer zweiten Corona-Welle kommen sollte, dann müssen Doppelinfektionen und auch eine zusätzliche Belastung des Gesundheitssystems vermieden werden. Deshalb sind Impfungen gegen andere Atemwegserkrankungen wie Grippe, Pneumokokken und Keuchhusten extrem wichtig. Dafür müssen wir jetzt die Impfraten in Deutschland nach oben treiben um bestmöglich vorbereitet zu sein.

P+F: Wie lange wird es dauern, bis ein Impfstoff gegen das Corona-Virus zur Verfügung stehen wird?
Vollmar: Die viel diskutierten anderthalb Jahre sind aus meiner Sicht ein extrem herausforderndes Ziel, das nur durch eine sehr gut abgestimmte Zusammenarbeit zwischen Forschung, Unternehmen und Behörden zu erreichen ist. Noch kürzere Zeiträume – wie sie teilweise in der Öffentlichkeit genannt werden – sind reines Wunschdenken und aus meiner Sicht nicht seriös. Denn wir müssen den Impfstoff auch in großen Mengen produzieren und die verkürzte Entwicklungszeit darf niemals auf Kosten der Sicherheit gehen. [as]

Medikamente gegen Corona und Covid-19:

 

 

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