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(Bild: Pitzek)

P+F: Wie hat sich der Markt für Sie als GMP-Dienstleister in den letzten Jahren verändert?

Dr. Rainer Maué: Es sind einige große Veränderungen offensichtlich: Früher haben die großen Industrien im Pharmabereich alles, was GMP betrifft, im eigenen Hause gemacht und nur ganz wenig mit externen Beratern oder Dienstleistern zusammengearbeitet. Lohnhersteller oder GMP-Beratung, das hat es relativ wenig gegeben. Besonders in den letzten Jahren haben solche Dienste aber an Schwung gewonnen. Und ich gehe davon aus, dass sich das – auch durch die Corona-Pandemie – noch verstärken wird.

Außerdem bestätigen unsere Kundenanfragen, was auch von der Bundesregierung propagiert wird: Dass es die „Apotheke Deutschland“ so nicht mehr gibt – dass es aber Bestrebungen gibt, die Pharmaproduktion im Land zu halten oder zurückzuholen. Man spürt, dass auch die großen Firmen darüber verstärkt nachdenken. Die Pandemie zeigt auch, dass dies ein Fokus bei neuen Projekten ist.

P+F: Welche Dienste können oder wollen Ihre Kunden nicht mehr im eigenen Haus leisten, und nehmen sie daher besonders in Anspruch?

Maué: Es ist für Unternehmen fast ein Ding der Unmöglichkeit, die Fachkenntnis über die geltenden Regularien im eigenen Haus immer auf dem neuesten Stand zu halten, weil die Anforderungen im GMP-Bereich immer schneller steigen. Ursprünglich war das von den Branchengrößen initiiert, um sich den Wettbewerb vom Leib zu halten. Jetzt werden sie davon selbst eingeholt, weil die Behörden die Daumenschraube noch stärker anziehen. Mittlerweile werden die GMP-Regeln in viel kürzeren Zeiträumen aktualisiert, und sie werden nicht einfacher, sondern noch aufwendiger. Wir als Beratungsunternehmen sind bei sechs bis acht parallel betreuten Projekten gezwungenermaßen immer up-to-date. Aber selbst die Großen in der Branche projektieren nicht mehr so viel parallel. Bei einer Zeit von rund drei Jahren von einem Großprojekt zum nächsten rechnet sich der nötige Aufwand nicht, selbst up-to-date zu bleiben.

Was man auch merkt: Der Mittelstand vertrat früher noch stärker die Ansicht „Wir machen alles selbst“, auch und besonders aus Geheimhaltungsgründen. Aufgrund der verstärkten Anforderungen im pharmazeutischen Umfeld sind die mittelständischen Unternehmen dann notgedrungen offener geworden, mit seriösen Beratungsunternehmen zusammenzuarbeiten, um im Wettbewerb mit den Branchenriesen mithalten zu können. Für uns ist es darum auch ein wichtiger Strategie-Bestandteil geworden, uns verstärkt um den Mittelstand zu kümmern.

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„Die Produktion von einem Standort an einen anderen zu verlegen dauert ein bis zwei Jahre, plus Stabilitätsstudien und Neuregistrierung in allen Zielmärkten. Das wird sich kaum eine Pharmafirma antun.“Dr. Rainer Maué, Geschäftsführer,Pitzek GMP Consulting

P+F: Wie wichtig ist dabei die geographische Nähe zu den Unternehmen, auch angesichts zunehmender Digitalisierung?

Maué: Wichtig zum einen ist die „mentale und soziale Nähe“, dass man die Bedürfnisse und Ansprüche des Kunden besser versteht, dass man vertrauensvoll zusammenarbeiten kann. Denn Sie müssen zusammenarbeiten, nicht füreinander. Das andere ist ein einfacher Kostenfaktor: Bei regionaler Nähe entfällt ein sehr großer Teil der Reise- und Aufenthaltskosten. Wir bei Pitzek haben dem Rechnung getragen, indem wir etwa unsere Niederlassung im Nordosten Deutschlands gegründet haben, um unsere Dienste näher an den dortigen Markt zu tragen. Das gleiche werden wir für den Südosten Deutschlands und Österreich tun. Und wir haben natürlich unser Office in Singapur gegründet, um die Internationalisierung der Pharmaindustrie zu begleiten und von dort aus zu bedienen.

P+F: Warum haben Sie sich für den Standort Singapur entschieden, während ein Großteil der Pharmaproduktion in China oder Indien stattfindet?

Maué: Singapur gehört zu den Regionen mit dem stärksten Wirtschaftswachstum der Welt und ist der Knotenpunkt schlechthin für Südostasien. Südostasien ist seinerseits im Pharmabereich der Wachstumsmarkt schlechthin. Alle großen Pharmaunternehmen, und nicht nur diese, nutzen Singapur als Drehkreuz, um in die Pharmamärkte der Region zu gehen. Die Produktion liegt in der Tat in Vietnam, in China oder Indien, aber die Deals werden erfahrungsgemäß alle in Singapur geschlossen. Um also die nötige lokale Nähe aufzubauen, benötigt man die Tochtergesellschaft vor Ort, um von da aus Projekte in Indien oder China angehen zu können.

P+F: Was lässt den Pharmamarkt in Südostasien, auch über Singapur hinaus, derzeit so stark wachsen?

Maué: Das hat verschiedene Gründe: Zum einen sind die Kosten dort geringer als in Europa, Genehmigungsverfahren zur Aufnahme der Produktion sind deutlich weniger bürokratisiert und damit einfacher, und die Patentlage ist günstiger. Auf der anderen Seite gibt es dort mittlerweile einen sehr hohen Bildungsstand.

Beispiel Indien: Dort existiert noch das englische College-System, sie finden dort sehr gut ausgebildete Leute. Ähnliches gilt für China und natürlich Singapur. Diese Kombination hat dazu geführt, dass viele große Pharmafirmen, auch aus Deutschland, geradezu gezwungen waren, ihre Produktion in diese Regionen zu verlegen. Dem haben wir schon früh Rechnung getragen. Wir bauen unser Geschäft dort seit einigen Jahren auf, weil wir diese Tendenz früh erkannt haben.

„Bei rund drei Jahren von einem Großprojekt zum nächsten rechnet es sich nicht, die Fachkenntnis über Regulierungen selbst up-to-date zu halten.“

P+F: Inwiefern wirken die europäischen Anstrengungen, die Pharmaproduktion wieder verstärkt zuhause anzusiedeln und den Medikamentenbedarf aus eigener Kraft decken zu können, diesem Trend entgegen?

Maué: Auch wenn die Pharmaproduktion nun verstärkt nach Deutschland zurückkommen soll, wird Südostasien in den nächsten zwanzig, dreißig Jahren eine extrem wichtige Pharmaregion bleiben. Es wird sicherlich das ein oder andere Schwerpunktprodukt wieder stärker in Europa gefertigt werden. Aber die Zulassungshürden, um ein Produkt, das jetzt in China oder Singapur produziert wird, wieder in Deutschland zu produzieren, sind sehr hoch. Die Produktion von einem Standort an einen anderen zu verlegen dauert ein bis zwei Jahre, plus Stabilitätsstudien und Neuregistrierung in allen Zielmärkten. Das wird sich kaum eine Pharmafirma antun.

Ich glaube daher, dass es eher Anreize für neue Produkte geben wird, um diese von vorneherein hier zu produzieren und deren Produktion innerhalb der EU zu lassen. Bei bestehenden Produkten wird man möglicherweise die Lagerhaltung verstärken und gewisse Sicherheitsreserven zurückhalten können. Aber ich kann mir nur schwer vorstellen, dass die Produktion etablierter Medikamente tatsächlich nach Europa zurückkommt. Entsprechende Behauptungen aus der Politik halte ich für populistisch. Neue Wirkstoffe dagegen, und ganz besonders die noch in der Entwicklung befindlichen Corona-Impfstoffe, werden sicherlich verstärkt in Europa produziert, davon bin ich überzeugt. Wir sind an Projekten beteiligt, wo genau das im Moment passiert.

P+F: Befürchten Sie, dass im Zuge beschleunigter Zulassungsverfahren für Impf- und Wirkstoffe gegen Covid-19 Standards gesenkt werden?

Maué: Man merkt zwei Dinge: Einmal, dass die Ressourcen für diese Produkte von den Zulassungsbehörden extrem erhöht wurden. Dadurch geht es schneller. Aber es werden auch zunehmend Ausnahmegenehmigungen erteilt, auch um dem Druck der Gesellschaft Rechnung zu tragen. Man kann sicherlich Prioritäten bei der Ressourcenzuteilung verschieben und so wichtige Entwicklungen beschleunigen, aber: Man muss nicht nur mit klinischen Studien nachweisen, dass ein neues Produkt wirkt, sondern auch, dass es möglichst wenige Nebenwirkungen verursacht.

Mit verkürzten oder beschleunigten Verfahren lässt sich das zwar zum Teil auch in sogenannten Nach-Zulassungsstudien erledigen, aber hier ist die Gefahr, dass man Dinge übersieht einfach deutlich größer. Zu glauben, dass so eine Entwicklung in nur einem Jahr machbar ist, ist aus meiner Sicht ein absolutes Unding.

P+F: Wie haben sich vor und während Corona die Verhältnisse in ihrer Branche geändert?

Maué: Die erste Auswirkung war, dass viel mehr digital erledigt wird. Besonders bei allem, wo man nicht unbedingt vor Ort an eine Anlage muss, wird der Kontakt und damit die Infektionsgefahr verringert – und auch das Risiko, das Virus in die Produktion einzuschleppen. Wir haben glücklicherweise auch schon vor der Pandemie unsere Arbeitsweise auf Cloud-Zugänge umgestellt, das ist während der Pandemie sehr hilfreich.

Es gab früher einige Kunden mit der Erwartungshaltung: Unsere Kollegen haben fünf Tage die Woche im Kundenunternehmen anwesend zu sein. Bei den gleichen Kunden sind mittlerweile die gleichen Kollegen höchstens zwei Tage vor Ort und arbeiten die restlichen drei Tage mit digitalen Lösungen aus dem Büro. Das geht genauso schnell, wenn nicht sogar effektiver. Diesen digitalen Fortschritt zu nutzen – das ist etwas, wobei uns die Pandemie tatsächlich geholfen hat.

Wichtig dazu ist allerdings, dass man sich bei den Kunden auch bereits das nötige Vertrauen erarbeitet hat. Um in der pharmazeutischen Welt erfolgreich sein zu können, muss man Vertrauen schaffen und erhalten, und Qualität abliefern. Das ist etwas, was für alle Spieler im pharmazeutischen Umfeld gilt, denn die Pharmaproduktion ist ein ethisches Gut. Vertrauen aufzubauen ist extrem langwierig und anstrengend. Schnellschüsse haben hier selten zum Erfolg geführt. Vertrauen zu verlieren, geht allerdings schnell – nicht nur zwischen Dienstleistern und Pharmaproduzenten, auch zwischen Pharmaproduzenten und Patienten oder Ärzten. Der Vertrauensvorschuss, den wir bei vielen Bestandskunden haben, hat uns in der Pandemie sehr geholfen.

Wir haben uns außerdem in den letzten drei Jahren stärker diversifiziert. Wir waren am Anfang nur in der Qualifizierung und Validierung von Anlagen unterwegs, und nur bei Großkunden. Dass wir frühzeitig die Weichen zur Internationalisierung gestellt haben, dass wir auch kleinere Unternehmen vor Ort bedienen, und besonders natürlich, dass wir jetzt auch das Engineering anbieten, kommt uns jetzt zugute.

P+F: Warum ist es, trotz digitaler Lösungen, besonders wichtig, auch international lokal präsent zu sein?

Maué: Wenn sie mit großen Firmen zusammenarbeiten, dann haben die Produktionsstandorte in Deutschland, im europäischen Ausland und im außereuropäischen Ausland. Diese Firmen gehen immer mehr dazu über, mit Systempartnern zusammenzuarbeiten. Wenn Sie dann nur an einem Standort, sagen wir Berlin oder Frankfurt, Ihre Dienste und Ihre Expertise anbieten können, tun Sie sich bei den Großen schwer, denn deren Produktion macht eben nicht an der deutschen Grenze halt. Vor diesem Hintergrund muss man mit der Digitalisierung auch die Internationalisierung vorantreiben.

Wir gehen neben Deutschland auch nach Österreich, in die Schweiz und eben nach Asien, in die großen Pharmamärkte. Aus meiner Sicht wird dort in den nächsten zehn bis zwanzig Jahren das größte Wachstum erwartet. In den letzten zwanzig Jahren waren das vor allem die USA, aber ich glaube nicht, dass die USA dieses Wachstum auch in Zukunft halten können werden. Ich erwarte eher, dass auch die amerikanischen Firmen in ihrer Produktion stärker in anderen Märkten wachsen werden als im Inland. Deswegen fiel auch bei uns die Entscheidung, mit unseren Dienstleistungen in die genannten Märkte zu gehen.

P+F: Erwarten Sie, dass der Trend zur Internationalisierung durch Corona-bedingte Einschränkungen stark oder langfristig beeinträchtigt wird?

Maué: Ich denke, dass vor allem die Lieferketten beeinträchtigt werden. Der bisherige Trend war „make big“, eine riesige Produktionshalle, die die Welt bedient. Jetzt hat man vor Augen geführt bekommen, dass das vielleicht nicht so gescheit war. Denn wenn die Waren-ströme nicht mehr so einfach sind, wird man unter Umständen eine Produktion in Europa und eine in Asien brauchen – zwei kleinere Standorte statt eines großen. Damit steigt auch der Beratungsbedarf.

Zur Person
Dr. Rainer Maué blickt auf insgesamt über 30 Jahre Berufserfahrung mit allen Höhen und Tiefen. Dabei hat er als promovierter Apotheker mit zusätzlichem Studium in pharmazeutischer Technologie zahlreiche Facetten und Positionen der Pharmaindustrie kennengelernt, vom GMP-Experten bis zum Senior Consultant, von der Unternehmensentwicklung bis zum Interims-Management. Seine Schwerpunkte liegen unter anderem in den Bereichen CMO-Management, Validierung und Qualifizierung, Prozess-Optimierung, Tech Transfer und Licensing. Als privat und beruflich prägend bezeichnet er vor allem seine Erfahrungen im Ausland. Bei Pitzek GMP Consulting war er zunächst für den Vertrieb zuständig und generiert nun als Geschäftsführer weiteres Wachstum mit dem Team des Beratungsunternehmens.

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