Am Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung hat ein Team um Kerry Gilmore und Peter Seeberger einen Automaten für die radiale Synthese entwickelt. Das Herzstück bildet der zylindrische Behälter am unteren Bildrand – in ihm finden die Reaktionen statt.

Am Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung hat ein Team um Kerry Gilmore und Peter Seeberger einen Automaten für die radiale Synthese entwickelt. Das Herzstück bildet der zylindrische Behälter am unteren Bildrand – in ihm finden die Reaktionen statt.

Sourav Chatterjee (Bild: MPI für Kolloid- und Grenzflächenforschung/)

Die Apparatur lässt sich schnell auf die Synthese sehr unterschiedlicher, auch komplexer Sub-stanzen umprogrammieren, ohne dass ein Umbau nötig ist. Dabei kann sie Syntheseschritte kombinieren, für die bislang mehrere Geräte notwendig waren.

Außerdem kann das Gerät die Stoffe an entlegenen Orten ferngesteuert herstellen. Die neue Technik erleichtert auch datenbasierte Entwicklungen in der Chemie und könnte damit die Suche nach neuen chemischen Produkten und Reaktionsprozessen beschleunigen. „Mit der radialen Synthese schaffen wir einen Paradigmenwechsel in der Chemie“, sagt Institutsdirektor Peter Seeberger.


Die radiale Synthese kombiniert zwei prinzipiell unterschiedliche Prozesstechniken miteinander: die zyklische und die lineare. Eine zyklische Synthese ist die Methode der Wahl, wenn Chemiker Biopolymere wie etwa Proteine, Kohlenhydrate oder DNA-Stränge erzeugen wollen. Dabei schleusen sie ein Molekül in einem Kreislauf durch ein Reaktionsgefäß, in dem immer wieder der gleiche chemische Reaktionstyp stattfindet, sodass das Molekül allmählich zu einer Kette wächst. Auch verschiedene Glieder lassen sich in den einzelnen Zyklen an die Kette knüpfen. Bei einer linearen Synthese durchläuft ein Molekül dagegen mehrere Stationen, an denen verschiedene Reaktionen stattfinden, und zwar in unterschiedlichen Apparaturen oder zumindest in unterschiedlichen Teilen einer Apparatur.

Mehrere Reaktoren im Kreis angeordnet


Die beiden Techniken kombinieren die Potsdamer Forschenden nun, indem sie mehrere Reaktoren für zyklische Synthesen kreisförmig um eine Art Drehscheibe anordnen. So können sie Zwischenprodukte ferngesteuert von einem zyklischen Reaktor zum anderen befördern und mit linearen Prozessschritten verbinden. „Wir können sehr unterschiedliche Reaktionen flexibel kombinieren, auch schnelle und langsame“, sagt Peter Seeberger. Chemische Umwandlungen, die mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten ablaufen, lassen sich in gängigen linear arbeitenden Chemieanlagen nicht effizient ausführen, weil das Reaktionsgemisch durch sie mit konstantem Tempo fließt.


Der Syntheseautomat ermöglicht es zum einen, Menschen an schwer zu erreichenden Orten oder in Gegenden ohne chemische Industrie je nach Bedarf mit medizinischen Wirkstoffen oder anderen Substanzen zu versorgen, wenn diese dort schlecht zu lagern oder schwer dorthin zu transportieren sind. Das könnte bei unverhofften Engpässen an medizinischen Wirkstoffen nützlich sein und Menschen in Entwicklungsländern generell einen flexiblen Zugang zu Substanzen ermöglichen, gerade wenn der Bedarf an einem Stoff nicht vorhersehbar ist.


Zum anderen eröffnet der flexible Syntheseautomat neue Perspektiven für die Forschung. Medizinische Wirkstoffe sind oft kompliziert gebaut, und kleine Unterschiede können große Effekte haben. Auf der Suche nach der besten Substanz synthetisieren Chemiker daher meist viele verschiedene Moleküle mit kleinen Variationen. Bislang müssen sie ihre Apparaturen dabei oft wechseln oder zumindest zeitraubend umbauen. Gleiches gilt für die Entwicklung der optimalen Reaktionswege, sobald das wirksamste Molekül gefunden ist. „Die Handarbeit können wir mit der radialen Synthese weitgehend aus der Chemie nehmen“, sagt Seeberger. Wenn es nach ihm geht, wird Chemie künftig wie der Service von Internetdiensten betrieben: „Sie sitzen zwar im Büro vor Ihrem Rechner, der Server, auf dem eine Anwendung läuft, steht aber irgendwo anders auf der Welt.“[ak]

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