Sie entwickeln eine integrierte Produktionslinie zur kontinuierlichen Herstellung von Tabletten, indem sie GEAs Consigma-Tablettenfertigung mit Process Analytical Technology (PAT) von Siemens kombinieren. Pharma+Food hat mit Dr. Harald Stahl, Group Director Application & Strategy Management bei GEA, und Bart Moors, Director Global Account and Project Development Life Sciences bei Siemens, über die PAT-gestützte Konti-Plattform gesprochen.
P+F: Gab es einen konkreten Anlass zur Zusammenarbeit zwischen Siemens und GEA?
Bart Moors: Von Siemens-Seite haben wir 2007 eine PAT-Initiative gestartet, gemeinsam mit einigen Großkunden wie Merck und GSK. Im Fokus standen dabei nicht-kontinuierliche Prozesse. Im Rahmen dieser Zusammenarbeit hat GSK 2009 die Frage gestellt: Gibt es eine Lösung, um einen Batch-Prozess als Konti-Prozess umzusetzen? Diese gemeinsame Initiative von GSK, GEA und Siemens war die Basis für die spätere Zusammenarbeit und der Proof-of-concept.
Dr. Harald Stahl: In der Pharmaindustrie hat man klassisch bislang aus einzelnen Proben jeweils einen Messwert genommen. Diese Zahl wurde in ein Papierprotokoll eingetragen. Aber als sich ab 2005 die IT rasant weiterentwickelte, verfügte man irgendwann über soviele Werte, die mit Papier nicht mehr zu managen waren. Für die Pharmaindustrie war das völlig neu, in anderen Industrien, wie der Chemie-, Erdöl und Papierindustrie, hatte man dies allerdings schon lange praktiziert. Firmen wie Siemens hatten auch dort schon jede Menge große Erfahrung. Als das anfing Richtung PAT zu gehen, hat man sich überlegt: Was macht man mit all den Daten? Wie kann man sie sinnvoll aufbereiten? Aus dieser Überlegung heraus ist diese Partnerschaft zustande gekommen. GSK war dann der erste Kunde, der gesagt hat: „Jetzt lasst uns das mal Richtung Konti weitertreiben und realisieren.“
P+F: Die Consigma-Plattform von GEA und die Sipat-Software von Siemens sind an sich nicht neu. Was entsteht aus dieser Kombination, was vorher nicht möglich war?
Moors: Was bringt die Zusammenarbeit unserer beiden Firmen? Wir haben inzwischen sehr viel Erfahrung gesammelt, und auf dieser Basis entwickeln wir kontinuierlich weitere Standards, die viel besser integriert sind. Damit kann man den Einstieg für einen Konti-Prozess viel leichter machen, nicht nur für die Großkunden, sondern auch für mittelgroße oder kleinere Kunden. Der Einstieg ist für den Nutzer viel einfacher geworden.
Stahl: Ich denke, die großen Pharmaunternehmen haben In-house eine Menge Know-how angesammelt und können dieses entsprechend handhaben. Andere Kunden brauchen wiederum starke Partner, bei denen sie sich darauf verlassen können, dass sie diesen Einstieg in die kontinuierliche Produktion schaffen.
P+F: Die Kooperation soll Qualität und Kosteneffizienz in der Produktion steigern und Risiken senken. Wie erreichen Sie das?
Moors: Das wichtigste ist: Warum PAT? Wenn ich in einem kontinuierlichen Produktionsprozess die Qualität überwachen will, dann muss ich natürlich im Prozess multivariate Daten in einer integrierten Plattform inline und online verarbeiten und mit einem Prozess-Modell vergleichen können. Die Information wird genutzt, um eine Feed-forward- oder Feed-backward-Regelungsstrategie zu entwickeln. Am Anfang hat man sehr viel Zeit in die Integration und Standardisierung gesteckt, und jetzt kann man über die entwickelten Kontrollstrategien wirklich die Optimierung der Produktionsprozesse erreichen. Dazu haben wir auch Standard-Konnektoren entwickelt, die mit den multivariaten Datengeräten kommuni-zieren können.
Stahl: Bei der klassischen Produktion in der Pharmaindustrie in einer Chargen- oder Batchproduktion geht man davon aus, dass alles, was in einem Topf passiert, ein vollkommen identisches Produkt ergibt. So ist auch die ganze Qualitätskontrollstrategie: Man nimmt eine beliebige Menge, testet diese auf bestimmte Eigenschaften und gibt die komplette Charge frei, denn sie muss der Logik nach ja homogen sein.
Wenn ich aber kontinuierlich produziere, dann mache ich das, was in diesem Topf zeitlich hintereinander geschieht, räumlich hintereinander, aber über viele Stunden. Dabei muss sichergestellt sein, dass die Prozessbedingungen nach zwei Minuten genauso sind wie nach 20 Minuten oder nach zwei Stunden. Es gibt aber immer Schwankungen.
Was in der Ölindustrie bereits bekannt ist, erlebt man nun auch in der Pharmaindustrie: Man hat zwar schwankende Rohstoffqualitäten, aber bekommt ein Endprodukt, das immer identisch ist. Genau das ist – im Gegensatz zur Chargenproduktion – durch die intelligenten Mess- und Regelalgorithmen möglich. In der Chargenproduktion hat man eine Unit-Operation durchgeführt, hat eine Probe genommen, und hat „ja oder nein, accept it or reject it“ gesagt. Die intelligenten Kontiverfahren bieten da wesentlich mehr Möglichkeiten.
P+F: Welche Art schwankender Prozessgrößen lässt sich mit der neuen Plattform besonders gut erfassen?
Stahl: Wenn beispielsweise die Rohmaterialien mehr oder weniger Feuchte in den Prozess einbringen, denn das beeinflusst die Dauer der Trocknung, die am Ende des Prozesses ausreichen muss. Schwankende Rohmaterialqualitäten sind also einer der wesentlichen Aspekte, die man damit berücksichtigen muss.
Es gibt außerdem die Möglichkeit zu korrigieren. Bei der Trocknung geht das im Batch-Prozess noch, bei anderen Unit-Operations kann ich nicht eingreifen, da kann ich das Produkt nur noch verwerfen. Bei der Konti-Plattform kann ich im Prozess durch ständige Datenerfassung immer wieder korrigierend eingreifen. So kann ich die kritischen Qualitätseigenschaften einschätzen und entsprechend handeln.
Moors: Die kritischen Qualitätseigenschaften eines Medikamentes sind das, was letztendlich in der Pharmaindustrie überwacht werden muss. Das ist zur Freigabe eines Medikaments erforderlich und muss an die Behörden weitergeleitet werden. Wenn man die kritischen Qualitätseigenschaften online überwachen und kontrollieren kann, lässt sich damit sicherstellen, dass das Produkt am Ende auch der geforderten Qualität entspricht.
P+F: Was bremst Ihrer Einschätzung nach die Verbreitung der Konti-Produktion und damit verbundene Prozessanalytik in der Pharmaindustrie bislang aus?
Stahl: Ich denke, die Pharmaindustrie wartet auf bereits erprobte Erfolge mit den neuen Verfahren. Hinzu kommt die Erfahrung, dass bei Chargenprozessen eben auch mal etwas nicht funktioniert – bei einer möglicherweise stockenden Unit-Operation in einem Konti-Prozess würde schließlich die ganze Linie stehen. Konti-Prozesse laufen jedoch grundsätzlich viel stabiler. Diese Erkenntnis setzt sich aber in der Pharmaindustrie erst ganz langsam durch.
Moors: Ein weiterer Punkt ist, dass wenn die Pharmaunternehmen etwas im GMP-Bereich umsetzen, dass dann natürlich auch die Software der Funktionalität und Qualität entsprechen muss. Neben dem Grund, dass die Pharmaindustrie eher konservativ ist, war zu Anfang auch keine Softwarelösung vorhanden, die langfristig unterstützt wird. Eine Anlage muss vielleicht 20 Jahre laufen. Kunden brauchen dann Lieferanten, die auch langfristig das Projekt unterstützen können.
Stahl: Die Innovationstreiber sind üblicherweise die forschenden Pharmaunternehmen, die neue Produkte entwickeln. Für sie ist das Wichtigste, eine Zulassung zu bekommen. Für ein neues Produkt auf eine neue Technologie zu setzen, das haben in der Vergangenheit viele Pharmafirmen als ein zusätzliches Risiko gesehen und versucht, das zu vermeiden. Inzwischen sieht man das aber nicht mehr ganz so kritisch.
P+F: Mit welchen Vorteilen würden sie die konservative Pharmabranche überzeugen, auf PAT-gestützte Konti-Produktion umzusteigen?
Moors: Bei einem Konti-Prozess kann ich mit weniger aktivem pharmazeutischen Wirkstoff schneller meinen Produktionsprozess robust gestalten. Das ist wichtig für die pharmazeutische Industrie, da man so schneller ein Produkt auf den Markt bringen kann. Ein zweiter Punkt ist, dass man auf weniger Raum produzieren kann. Eine kontinuierliche Linie ist vielleicht schon auf einem Fünftel oder einem Zehntel des Platzes realisierbar. Ein weiterer Vorteil ist, dass die Infrastruktur im Process Development leicht übertragen werden kann in eine kommerzielle Produktionsanlage, und das ohne Upscaling.
Stahl: Die Beschleunigung der Markteinführung liegt auch darin, dass es kein Scale-up mehr gibt: Man entwickelt nicht den 10-Liter-Topf und versucht dann, das mit viel Kopf- und Bauchschmerzen auf einen 100- oder 1.000-Liter-Topf zu übertragen. Man hat stattdessen die immer gleiche Anlage und lässt sie drei Minuten laufen für die frühe Entwicklung, zwei Stunden für die Klinikmusterfertigung und 24/7 für die Routineproduktion. Das spart unglaublich viel teure Substanz und Zeit, und es ermöglicht eine variable Chargengröße. Wenn ich eine 300 kg Batchanlage habe, kann ich 300 oder 600 oder 900 kg herstellen. Aber in einem kontinuierlichen Prozess kann ich 8 Stunden, 24 Minuten und 12 Sekunden arbeiten, um exakt die Menge herzustellen, die ich haben möchte, seien es 234 kg oder 156.000 Tabletten.
P+F: Warum ist es wichtig, auf diese Art schneller auf Veränderungen reagieren zu können?
Moors: Zukünftige Anlagen müssen immer flexibler werden. Es gibt eine zunehmende Anzahl an Produkten mit kleineren Chargen. Besonders zur Markteinführung, wenn man noch nicht ganz sicher weiß, in welcher Menge das Produkt nachgefragt wird.
Stahl: Die großen Pharmaunternehmen sagen, dass die Zeit der Blockbuster, wo sie Milliarden von Tabletten fahren, eigentlich vorbei ist. Von den jetzt umsatzstärksten Medikamenten werden nun vielleicht noch 50 Millionen hergestellt. Deshalb hat man keine „dedicated facilities“ mehr, sondern Mehrzweck-Anlagen, wo man schnell wechseln und auf die Anforderungen des Marktes reagieren kann.
Die Fragen stellte Ansgar Kretschmer, Redakteur der Pharma+Food.