Die Corona-Pandemie geht alle an, und so hat fast jeder eine Meinung zur Lage und zu aktuellen Entwicklungen. Nicht nur geschäftlich, sondern auch im privaten Bereich wird mitunter heftig über die Verantwortung und die Errungenschaften der Pharmaindustrie diskutiert. Plötzlich in aller Munde sind damit die Namen von Firmen und Wirkstoffen, die zuvor nur für einen eingeschränkten Personenkreis innerhalb von Industrie und Fachpresse interessant waren.
Diese Aufmerksamkeit kam für die Pharmaunternehmen so überraschend wie die Pandemie selbst. In der Podiumsdiskussion „Pharma in Focus“ anlässlich der Preview-Veranstaltung zur Achema Pulse bestätigte zum Beispiel Christian Thöne, Head of Engineering im Bereich Processes, Standards und Manufacturing bei Bayer Healthcare: „Ehrlich gesagt, wir bei Bayer Pharmaceuticals haben schon einen Moment gebraucht, um uns an das breite öffentliche Interesse zu gewöhnen.“ Thöne setzte jedoch auch gleich nach, welche Bedeutung diese Aufmerksamkeit nach dem ersten Schock für die Industrie hat: „Das ist eine Gelegenheit, besser zu erklären, was wir eigentlich tun, und welche Herausforderungen damit verbunden sind. Wir brauchen dieses Interesse, und die Diskussionen.“
Thomas Fricke, Commercial Director Pharma beim Verpackungsmaschinenhersteller IMA sieht die Chance, dass eine breitere Masse ein Verständnis davon bekommt, welcher Aufwand für die Entwicklung von Medikamenten notwendig ist: „Zum ersten Mal begreifen viele Menschen, wie wichtig die Pharmaindustrie für unser Leben sein kann.“ Nun gehe es auch darum, den Menschen klar zu machen, warum sich die Medikamenten- und Impfstoffentwicklung nicht uneingeschränkt beschleunigen lasse: Regularien müssen eingehalten werden, und Forschung braucht eine gewisse Zeit. „Und es ist ja nicht nur die Impfstoffentwicklung, es gibt noch zahlreiche andere Krankheiten, die noch nicht mit entsprechendem Respekt behandelt werden“, setzt Fricke hinzu. „Ich glaube, die Aufmerksamkeit hilft den Leuten zu verstehen, was nötig ist, um im Pharmabereich ein Produkt zu entwickeln.“
Bleibende Veränderungen
Auch jenseits der Krise erwarten die Experten bleibende Veränderungen. Zum Beispiel sind nicht nur beschleunigte Zulassungsverfahren, sondern auch schnellere Investitionsentscheidungen ein Vorteil, der auch in Zukunft großen Nutzen bringen kann. Hinzu komme eine gewisse „Lust aufs Risiko“, erklärt Thöne: die Bereitschaft, für schnellere Markteinführungen auch riskante Entscheidungen zu treffen, natürlich ohne dabei Patienten zu gefährden. Beispielhaft sei die enorme Geschwindigkeit, mit der Pharmafirmen und Gesundheitsbehörden „in der Lage waren, diese Impfstoffe zu verbessern und dies ohne Abstriche bei der Patientensicherheit zu machen.“ Ein weiterer Punkt seien strategische Partnerschaften: Beispielsweise sind Entwickler von Impfstoffen auf Unternehmen angewiesen, die Produktion, Verpackung und Logistik übernehmen können. Die Pandemie habe schon jetzt gezeigt, dass sich derartige Krisen nur „Hand in Hand“ bewältigen lassen.
Und nicht zuletzt habe Covid-19 „uns gelehrt, dass wir uns Gedanken machen müssen, was wir wo produzieren“, so Thöne. Trotz günstiger Produktionsbedingungen an Standorten wie China und Indien dürfe die Versorgung mit essenziellen Medikamenten nicht an langen Lieferketten hängen, sind sich die Diskussionsteilnehmer einig. „Schon zu Beginn der Pandemie haben wir erkannt, dass wir unabhängiger sein müssen“, sagt Fricke. „In den nächsten drei oder vier Jahren ist das kaum möglich, aber wir sollten zumindest ein Minimum an Produktion in Europa anstreben.“