Arzneimittel, die im Geltungsbereich des AMG hergestellt und geprüft werden, dürfen nur in Verkehr gebracht werden, wenn sie gemäß §16 AMWHV freigegeben wurden (§17 Abs. 1 Satz 1 AMWHV). Inverkehrbringen meint das Vorrätighalten zum Verkauf oder zu sonstiger Abgabe, das Feilhalten, das Feilbieten und die Abgabe an andere (§4 Abs. 17 AMG). Die Abgabe beinhaltet die Einräumung der Verfügungsgewalt an einen anderen durch körperliche Überlassung des Arzneimittels1). Ausreichend ist damit das Einräumen des Besitzes durch das Übertragen der tatsächlichen Verfügungsgewalt, sei es auch nur durch Abtretung eines Herausgabeanspruches oder durch die Einräumung eines Besitzkonstituts2).
Für das Inverkehrbringen kommt es nicht auf die vertraglichen Regelungen der Hersteller und insbesondere nicht auf die Eigentumsverhältnisse an. Das Inverkehrbringen knüpft allein an die tatsächlichen Besitzverhältnisse an. Wer auf Arzneimittel körperlich einwirken kann, hat daran die tatsächliche Sachherrschaft. Dabei ist es ganz gleich, wem die Sachen gehören. So können die eingesetzten Packmittel unter Eigentumsvorbehalt geliefert worden sein und dem Hersteller damit nicht gehören. Besitz hat er trotzdem. Ändern sich die Besitzverhältnisse, überträgt ein Hersteller den bloßen Besitz auf einen anderen, liegt eine Abgabe vor. Das begründet das Inverkehrbringen eines Arzneimittels. Zu welchem Zweck die Abgabe der Arzneimittel an andere erfolgen soll, ist gleichgültig; die Herstellung eines Arzneimittels ist auch dann erlaubnispflichtig, wenn es nur zur Erprobung an andere abgegeben werden soll3).
Das Freigabe-Prozedere – eine Wissenschaft für sich
Jede Charge eines Fertigproduktes muss durch eine sachkundige Person im Sinne von §14 AMG (Sachkundige Person) zertifiziert werden, bevor sie für den Verkauf oder Lieferungen innerhalb der EU oder zum Export frei gegeben wird (Anhang 16 zum EG-GMP Leitfaden, Ziff. 2.1). Die Herstellung einschließlich der Qualitätskontrolle einer Arzneimittelcharge kann in mehreren Stufen stattfinden, die an unterschiedlichen Orten und von unterschiedlichen Herstellern ausgeführt werden können (Anhang 16 zum EG-GMP Leitfaden, Ziff. 3.1 Satz 1). Eine Fertigproduktcharge ist definiert als die Produktcharge in ihrer Endverpackung zur Marktfreigabe (Anhang 16 zum EG-GMP Leitfaden, Glossar). Bevor eine Fertigproduktcharge in Verkehr gebracht wird, ist sie freizugeben (§16 AMWHV). Wenn im Arzneimittelgesetz von Freigabe die Rede ist, ist damit der letzte Schritt der Herstellung vor dem Inverkehrbringen gemeint4). Zwischen Auftragnehmern und Auftraggebern können nämlich auch Freigaben zur Weiterverarbeitung vereinbart werden, zum Beispiel Bulkwarenherstellung beim Lohnhersteller, bei der der Lohnhersteller die Freigabe zur Konfektionierung beim Auftraggeber beziehungsweise Originalhersteller erteilt. Solche Freigaben sind keine Freigaben zum Inverkehrbringen im Sinne des §16 Abs. 1 AMWHV, sondern Bestätigungen über Teilherstellungsstufen nach §16 Abs. 4 AMWHV. Derartige Bestätigungen können aber von der Sachkundigen Person bei der Entscheidung über die Freigabe berücksichtigt werden.
Jeder Erlaubnisinhaber, der nach §16 AMG zur Freigabe zum Inverkehrbringen berechtigt ist, darf die Freigabe für seinen eigenen Betrieb beziehungsweise unter den Voraussetzungen des §9 AMWHV (Tätigkeiten im Auftrag) auch für externe Auftraggeber durchführen. Die Freigabe muss dabei von einer Sachkundigen Person vorgenommen werden (§16 Abs. 1 AMWHV). Der Dienstleister, der über die Erlaubnis zur Freigabe von klinischen Prüfpräparaten verfügt, kann die Freigabe für den Auftraggeber selbst durchführen. In Betracht kommt an dieser Stelle aber auch, dass der Auftraggeber die Freigabe durchführt, wenn er selbst über eine Erlaubnis zur Freigabe von klinischen Prüfpräparaten verfügt. In einem solchen Fall kann er sich entweder aufBestätigungen des Lohnherstellers beziehen. Das wird in aller Regel meist der Fall sein. Im anderen Fall muss er sich selbst vor Ort beim Lohnhersteller vergewissern, dass die einschlägigen Anforderungen sicher eingehalten wurden (wie dies im Einzelnen im Anhang 16 zum EG-GMP Leitfaden bestimmt ist).
Praxis bei der Herstellung klinischer Prüfmuster
Die Freigabe von klinischen Prüfmustern stellt nach §4 Abs. 14 AMG einen Herstellungsvorgang dar. Klinische Prüfpräparate sind Arzneimittel im Sinne von §2 Abs. 1 AMG. Demzufolge bedarf es für ihre Freigabe einer Erlaubnis unter den Voraussetzungen des §13 Abs. 1 AMG.
Ein Sonderfall stellt §14 Abs. 4 Nr. 1 AMG dar, nach dem Arzneimittel zur klinischen Prüfung am Menschen auch außerhalb der Betriebsstätte des Erlaubnisinhabers in einer beauftragten Apotheke hergestellt werden können. In diesem verfügt die Apotheke als Lohnhersteller in der Regel nicht über eine Herstellungserlaubnis und damit auch nicht über eine Sachkundige Person. Es ist ihr nicht gestattet, die Freigabe zum Inverkehrbringen durchzuführen. Der Auftraggeber müsste die Freigabe entweder selbst erteilen, wenn er über eine eigene Erlaubnis verfügt, oder einen Auftragnehmer hinzuziehen, der zur Freigabe von klinischen Prüfpräparaten berechtigt ist.
Bei klinischen Prüfmustern sollte die Verantwortung für die Untersuchung des Prüfmusters beim Auftraggeber – bzw. Sponsor – verbleiben. Die Freigabe erfolgt danach in zwei Schritten: In Form der Freigabe durch die Sachkundige Person (1) und aufgrund der Bestätigung, dass alle Anforderungen aus Art. 9 über die Herstellung klinischer Prüfmuster der EU-Richtlinie 2001/20/EC erfüllt sind (2). Der Sponsor sollte sicher stellen, dass diese Anforderungen mit den Einzelheiten übereinstimmen, die die Sachkundige Person bei der Freigabe berücksichtigen muss. Das ergibt sich aus dem Anhang 13 zum EG-GMP-Leitfaden. Dieser Anforderung liegt die Erkenntnis zugrunde, dass klinische Prüfmuster meist bereits gefertigt und durch die Sachkundige Person freigegeben werden, bevor die Genehmigung der klinischen Prüfung erteilt und damit die Einzelheiten zum Prüfarzneimittel des Investigational Medicinal Product Dossier (IMPD) genehmigt sind. Daher kann die Sachkundige Person des Lohnherstellers bei ihrer Freigabe nur vorläufige, vom Sponsor zur Verfügung gestellte Anforderungen zugrunde legen.
Der Auftraggeber bzw. Sponsor muss anschließend bestätigen, dass die von der Sachkundigen Person herangezogenen Anforderungen diejenigen sind, die die Behörde abschließend genehmigt hat. Die Ausführungen des Annex 13 widerstreiten insofern der in der Richtlinie 2001/20 EG und der AMWHV gestellten Forderung, dass die Sachkundige Person bei der Freigabe die Übereinstimmung mit der Genehmigung durch die Behörde sicher stellen muss. Entsprechend kann die Freigabe durch die Sachkundige Person in dieser Konstellation nur eine Bestätigung nach Anhang 16 sein. Darin bestätigt der Lohnhersteller, nach dem vom Sponsor übergebenen Product-Specification-File gefertigt, geprüft und verblindet zu haben. Die Sachkundige Person des Auftraggebers gibt schließlich aufgrund der Bescheinigung der Sachkundigen Person des Lohnherstellers und der von ihr überprüften Übereinstimmung des Product-Specification-Files und der Genehmigung zur klinischen Prüfung (bzw. des dieser zugrunde gelegten IMPDs) nach der Genehmigung durch die zuständige Behörde die Prüfarzneimittel endgültig frei.
Freigabe beim Lohnhersteller in der Praxis nicht durchführbar
Das Gesetz sieht das Inverkehrbringen klinischer Prüfmuster ohne Freigabe allerdings nicht vor. Die Abgabe einer komplett hergestellten Fertigproduktcharge an einen anderen Hersteller bedürfte an sich der Freigabe. Zwar sieht §16 Abs. 4 AMWHV die komplette Herstellung mit Ausnahme der Freigabe in anderen Betrieben und Einrichtungen vor. Diese Variante bezieht sich nach dem Wortlaut aber nicht auf unterschiedliche Hersteller. Die Freigabe klinischer Prüfmuster beim Lohnhersteller ist in der Praxis indes nicht durchführbar. Hier müssen Abgaben von Fertigproduktchargen vom Lohnhersteller an den Auftraggeber möglich sein, ohne dass die Freigabe zum Inverkehrbringen durch den Lohnhersteller zu erfolgen hat. Er kann die Anforderungen, aufgrund derer die Behörde die klinische Prüfung genehmigt hat, nicht kennen. Daher kann die Freigabe beim Lohnhersteller noch nicht erfolgen. Ausnahmsweise ist darum in der Übertragung des Besitzes an einer Fertigproduktcharge vom Lohnhersteller auf den Auftraggeber kein Inverkehrbringen zu sehen.
Zur Klarstellung sollte das Arzneimittelgesetz eine ergänzende Regelung enthalten, wie diese auch im Medizinproduktegesetz (MPG) vorgesehen ist. Danach gilt die Abgabe von Medizinprodukten zum Zwecke der klinischen Prüfung ausdrücklich nicht als Inverkehrbringen (§3 Nr. 11 lit. a) MPG). Die Klausel wird ergänzt durch eine weitere, die sich auf die Lohnherstellung bezieht: Eine Abgabe an andere liegt danach nicht vor, wenn Medizinprodukte für einen anderen aufbereitet und an diesen zurückgegeben werden (§3 Nr. 11 Satz 2 MPG). In Betracht käme ferner, §4 Abs. 18 dahin zu ergänzen, dass eine Abgabe ein Inverkehrbringen nur insoweit darstellt, als dieselbe an „Dritte“ – außerhalb der Lohnherstellung – erfolgt.