- Auch wenn das Gesamtvolumen der Übernahmen und Fusionen 2016 im Vergleich zum Rekordjahr 2015 rückläufig war, konnten weder Pharma noch Chemie einen Mangel an Bewegung verzeichnen.
- Auffällig sind die unterschiedlichen Strategien der beiden Branchen: Während es in der Chemie einen Hang zu Zusammenschlüssen gab, die in marktdominierenden Großkonzernen resultierten, verfolgen die Pharmazeuten eher den Weg der Spezialsierung, den sie durch die Akquise ausgewählter Geschäftsfelder realisierten.
Was im Rückblick sofort auffällt: Führten die zehn größten Deals der Pharmabranche mit einem Gesamtvolumen von 179 Mrd. US-Dollar in 2015 klar das Feld vor der Chemie mit 51 Mrd. US-Dollar, hat sich das Verhältnis diesmal gedreht: 2016 war das Übernahmejahr der Chemie – alleine im Betrachtungszeitraum Q1 bis Q3 2016 verzeichnet die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG einen Zuwachs von 60 % im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Klar dominiert von deutscher Handschrift.
Die Braut, die sich endlich traut
Dass das so ist, hängt natürlich vor allem mit DEM Deal zusammen: Bayer-Monsanto. Der Mega-Deal, an dessen Ende manch einer ein Quasi-Monopol stehen sieht, zog sich zwar über Monate hinweg. Doch im vierten Anlauf und mit einem Mitgift in Höhe von rund 66 Mrd. US-Dollar in der Tasche konnte der Bayer-Vorstandsvorsitzende Werner Baumann im September 2016 den Monsanto-CEO Hugh Grant von der Ehe der beiden Unternehmen überzeugen. So entsteht nun, nachdem im Dezember auch die Monsanto-Aktionäre ihren Segen gaben, das weltweit führende Unternehmen der Agrarwirtschaft mit einem erwarteten Jahresumsatz von 26,5 Mrd. US-Dollar. Keine Randnotiz ist dabei ein weiterer Deal im Bereich der Agrochemie: Im Spätsommer 2016 waren sich auch Chemchina und Syngenta einig: Die Chinesen übernehmen die Schweizer für eine Summe von 43 Mrd. US-Dollar. Gesetz dem Fall, dass alle zuständigen Kartell- und Zulassungsbehörden ihre Zustimmung geben (und davon gibt es in diesem Fall eine ganze Menge), entstünde damit ein weiterer Riese im Agrargewerbe. Big-Oil war gestern, die Zukunft gehört Big-Agro.
Verdichtung bei Industriegasen
Auch im Bereich der Industriegase setzte sich der Wahlspruch „Bigger is better“ durch: Im Mai des vergangenen Jahres nutzte der französische Gase-Hersteller Air-Liquide den finanziellen Schwung seines gut laufenden Geschäfts in den Schwellenländern und des florierenden Gesundheits-sektors und übernahm seinen US-Konkurrenten Airgas für eine Summe von 13,4 Mrd. US-Dollar um sein Nordamerika-Geschäft zu stärken. „Kleiner“ Nebeneffekt: Damit stieg der Konzern zum weltweit größten Gasehersteller auf. Der vom Spitzenplatz verdrängte damalige Linde-CEO Büchele lies nicht lange mit einer Reaktion warten und startete seinerseits Übernahmeverhandlungen mit dem in den USA ansässigen Konkurrenten Praxair. Allerdings hatte der Linde-Chef nicht mit seinem eigenen Aufsichtsrat gerechnet. Denn dieser stellte sich quer und Büchele damit ein Bein – woraufhin dieser das Handtuch warf und ankündigte seinen auslaufenden Vertrag nicht verlängern zu wollen. Das war aber noch nicht das Ende der Geschichte: Der aus dem Ruhestand zurückberufene Büchele-Nachfolger Aldo Belloni nahm die Verhandlungen mit Praxair sofort wieder auf und führte diese zu einem – diesmal vom Aufsichtsrat genehmigten – erfolgreichen Abschluss: 2018 wollen die beiden Industriegase-Unternehmen fusionieren.
Pharma: Gewinner und Verlierer
In der Pharmabranche war man im Vergleich zur Chemie eher wählerisch. Statt dass komplette Unternehmen geschluckt wurden oder fusionierten, wechselten einzelne Geschäftsfelder im vergangenen Jahr in hoher Zahl ihre Besitzer. Dabei stach vor allem die Übernahme des Generika-Geschäfts von Allergan durch Teva heraus: Mit einer Summe von 40,5 Mrd. US-Dollar war es der teuerste Deal des Jahres, der Teva gleichzeitig zum Generika-Primus machte. Aber nicht nur der monetäre Preis war hoch: Die Zustimmung der US Federal Trade Commission kostete Teva den Verkauf von 75 Generika-Produkten – der größte Zwangsverkauf in der Geschichte der Pharmaübernahmen. Der Grund, warum Teva dies auf sich nahm, liegt in der nahen Zukunft: In den kommenden Jahren laufen viele Patente für Medikamente aus, die bei manchem Unternehmen noch mehr als 60 % des Gesamtumsatzes ausmachen. Während diese dann unter starken Umsatzeinbußen leiden werden, profitiert der Generika-Markt. Hier soll der Jahresumsatz von derzeit rund 80 Mrd. US-Dollar bis zum Jahr 2020 auf dann 103 Mrd. US-Dollar steigen. Und von diesem Kuchen will sich Teva schon jetzt ein möglichst großes Stück sichern. Lachender Dritter dieser Entwicklung könnten übrigens junge Start-ups werden. Denn die Pharmakonzerne, deren Patente ein nahendes Verfallsdatum tragen, sind bereits auf der Suche nach dem nächsten „Einhorn“ – und bereit hohe Summen für potenzielle Blockbuster auszugeben.
Positionierung in Wachstumsfeldern
In diesem Zusammenhang überrascht es auch nicht, dass sich bei den Plätzen 2 bis 4 der zehn größten Deals des vergangenen Jahres im Pharmabereich alles um das Krebsgeschäft drehte. Denn wie auch die bereits erwähnten Einhörner geht es hier um teure Spezialmedikationen, von denen sich die Konzerne aufgrund des demografischen Wandels künftig hohe Gewinne erhoffen. Beispiel Pfizer: Mit der 14 Mrd.
US-Dollar teuren Übernahme von Medivation erstand das Unternehmen nicht nur einige vielversprechende Medikamente, die sich noch in der Entwicklung befinden, sondern mit Xtandi ein bereits von der FDA zugelassenes Krebsmedikament mit einem geschätzten jährlichen Verkaufsumsatz von 1,3 Mrd. US-Dollar bei Markteinführung. Mit der Übernahme des Antibiotika-Geschäfts von Astrazeneca, das sich künftig ebenfalls auf das Geschäft mit der Krebsbehandlung konzentrieren will, hat Pifzer sogar noch ein weiteres High-Potential an Land gezogen. Denn durch die Ausbildung von Resistenzen werden immer mehr am Markt angebotene Antibiotika unwirksam, wodurch die Entwicklung neuer Produkte wie das noch unter Astrazeneca entwickelte und kürzlich von der EU zugelassene Zavicefta zur Behandlung von Lungenentzündungen und Infektionen von hoher strategischer Wichtigkeit sind – sowohl in der medizinischen Versorgung als auch aus unternehmerischer Sicht.
Fazit
Auch wenn 2016 mit Fusionen und Übernahmen mit einem Gesamtwert über beide Branchen von 257 Mrd. US-Dollar bei weitem nicht an das Rekordjahr 2015 mit seinen 372 Mrd. US-Dollar heranreichte, gab es trotzdem wieder jede Menge Bewegung in den verschiedenen Lagern. Speziell in der Chemie bildeten sich mit den beschlossenen Deals Bayer/Monsanto und Chemchina/Syngenta im Agrarbusiness sowie Air Liquide/Airgas und (voraussichtlich) Linde/Praxair Giganten, die den Markt durch ihre Dominanz stark beeinflussen werden. Ob nun zum besseren oder schlechteren ist derzeit noch nicht abschließend zu beurteilen; der Wettbewerb zählt bei solchen Entwicklungen aber erfahrungsgemäß selten zu den Gewinnern. Bei Pharma drohte mit der Übernahme des Generika-Geschäfts von Allergan durch Teva zwar eine ähnliche Entwicklung, doch schoben hier die zuständigen Behörden von Anfang an einen empfindlichen Riegel vor. Wenn es hier einen Trend gab, dann den zur Spezialisierung. Wie es ab hier weitergeht, lesen Sie über die kommenden zwölf Monate dann wieder tagesaktuell auf unseren beiden Portalen www.chemietechnik.de und www.pharma-food.de. Und die Zusammenfassung in der Februar-Ausgabe 2018 dieses Magazins.
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