Conti-Prozesse, wie sie manchmal genannt werden, machen die Fertigung bei durchgehend hoher und einheitlicher Produktqualität effizienter und nachhaltiger. Daher dürfte sich Continuous Manufacturing in den kommenden Jahren in der Pharmaindustrie durchsetzen und die klassische Batchfertigung als präferiertes Produktionsverfahren nach und nach ablösen.
Da die Kosten für die hoch-komplexen und mit Elektronik vollgepackten Anlagen sinken und zugleich die regulatorischen Anforderungen in der Pharmaproduktion weiter steigen, hat Continuous Manufacturing das Potenzial, die Fertigung von Pharmazeutika zu optimieren und vielleicht sogar zu revolutionieren. In einem Bericht des Weltwirtschaftsforums vom November 2021 wird Continuous Manufacturing als eine der zehn wichtigsten aufstrebenden Technologien bezeichnet.
Vollautomatisch und sensorikgesteuert
Eine von Bilfinger entwickelte Continuous-Manufacturing-Pilotanlage zeigt, wozu die neue Produktionstechnik in der Lage ist. Die Bilfinger-Anlage produziert
monoklonale Antikörper, also immunologisch aktive Proteine und zurzeit eines der wichtigsten bio-pharmazeutischen Produkte, die etwa in der Krebstherapie eingesetzt werden. Die in einem Bioreaktor von tierischen Zellen mithilfe eines komplexen Nährmediums erzeugten Proteine (Upstream) werden aus dem Reaktor abgezogen und in nachfolgenden direkte angehängte Prozessschritten in der Anlage zu einem aufgereinigten biopharmazeutischen Endprodukt verarbeitet (Downstream) - in einem vollautomatischen, und real kontinuierlichen Prozess. Die Vernetzung von Upstream und Downstream wird als „Integrated Continuous Manufacturing“ bezeichnet und stellt den nächsten logischen Schritt in der Entwicklung von Continuous-Manufacturing-Anlagen dar.
Entwickelt wurde der Pilot unter wissenschaftlicher Begleitung von Prof. Alois Jungbauer an der Universität für Bodenkultur in Wien, der seine Expertise in der Biotechnologie eingebracht hat. Bilfinger hat ein Patent für die Anlage angemeldet.
Ununterbrochene Produktion
Die derzeitige Herstellungspraxis besteht noch aus einer Reihe komplexer und segmentierter Prozessschritte. In der heute noch vorherrschenden Batch- oder Chargenproduktion, die seit über einem Jahrhundert etabliert ist, werden die Erzeugnisse in einem Prozess hergestellt, der durch seine Unterbrechungen vergleichsweise langsam und ineffizient ist. Zudem kann der Prozess zahlreichen qualitätsmindernden beziehungsweise -gefährdenden Einflüssen ausgesetzt sein, da er per Definition nicht voll von der Umgebung abgeschlossen ist. Daher wurde Bilfingers Pilotanlage als „Functional Closed Process“ ausgelegt. Das bedeutet, dass ein geschlossenes System vorliegt, mit der Möglichkeit zur In-Prozesswartung. Dadurch ist das Produkt durchgehend über den gesamten Produktionsprozess von der Umgebung geschützt und lange Laufzeiten – bis zu 30 Tage und mehr – sind möglich.
Quality by Design
Bei Continuous Manufacturing muss ein großer Teil des Know-hows bereits in den Anlagen integriert sein um eine effiziente, sichere und nachhaltige Produktion zu ermöglichen. Zudem wird der standardisierte Prozess in einer geschlossenen Produktionsumgebung möglich und mithilfe von sogenannten Process-Analytical-Technology-Tools (PAT) kontinuierlich überwacht. Die Implementierung dieses Quality-by-Design-Gedankens trägt dazu bei, die Qualität von Arznei- und Lebensmitteln zu erhöhen und langfristig abzusichern. Auch deshalb befürworten Regulierungsbehörden diesen ganzheitlichen, standardisierten und skalierbaren Produktionsansatz. So ermuntert die U.S. Food and Drug Administration (FDA), die Lebensmittelüberwachungs- und Arzneimittelbehörde der Vereinigten Staaten, die Industrie bereits seit vielen Jahren, stärker auf Continuous Manufacturing zu setzen.
Nachhaltig und effizient
Hinzu kommen weitere Vorteile des neuen Verfahrens. Continuous-Manufacturing-Anlagen benötigen deutlich weniger Platz in der Fabrik als herkömmliche Anlagen. Im Vergleich kann ein kontinuierlich betriebener Upstream-Prozess um den Faktor 20 kleiner dimensioniert werden, bei gleicher Ausbeute. Der Downstream-Bereich kann diesen Wert sogar noch übersteigen. Die von Bilfinger konstruierte Pilotanlage, die Upstream und Downstream beinhaltet, benötigt in etwa denselben Platz wie ein 100-Liter-Upstream-Batch-Prozess allein, kann aber einen Output einer 200-Liter-Upstream-Anlage erreichen.
Eine weitere Besonderheit der Bilfinger Pilotanlage ist, dass diese ohne Zwischentank-Behälter auskommt. Dadurch ist das Produkt über den Prozessverlauf rückverfolgbar und die Ramp-up-Zeit, also die Zeit bis zum Erreichen des Gleichgewichtszustandes, wird reduziert.
Continuous-Manufacturing-Anlagen können im Vergleich zur Batch- und Chargenfertigung energieoptimierter betrieben werden und helfen so, Emissionen zu reduzieren und nachhaltig zu produzieren.
Flexibel einsetzbar
Zudem sorgen Continuous-Manufacturing-Anlagen für eine erhöhte Flexibilität in der Produktion. Anwender können die Anlagen aufgrund ihrer kompakten Bauweise dahingehend optimieren, dass sie auch in Standardcontainern Platz finden und um die ganze Welt transportierbar sind. So können sie schnell, kostengünstig und flexibel dorthin verlegt werden, wo der Anwender sie aktuell benötigt. Diese Eigenschaft ist vor allem mit Blick auf die Dezentralisierung von Produktionsprozessen für viele global aufgestellte Hersteller sehr interessant. Flexibel einsetzbare Anlagen können dazu beitragen, die Kapitalkosten im Unternehmen zu minimieren und die Nachhaltigkeit der gesamten Fertigung weiter zu steigern – zum Beispiel, wenn sie es ermöglichen, die Produktion näher an den Kunden zu rücken.
Die bedarfsgerechte Herstellung von Arzneimitteln bedeutet, dass diese auch an entlegenen Orten produziert werden können. Dezentrale Herstellung impliziert zudem, dass weniger Ressourcen für Lagerung und Transport von Pharmaprodukten benötigt werden. Die Technik kann auch dort ins Spiel kommen, wo es darum geht, wegen hohen Kostendrucks ausgelagerte Produktion in personalkostenintensive Regionen zurückzuholen, sogenanntes Reshoring.
Für neue Produkte interessant
Die Industrie ist an Integrated-Continuous-Manufacturing-Anlagen derzeit vor allem interessiert, wenn neue biopharmazeutische Produkte in der Pipeline sind und hierfür neue Fertigungsstätten errichtet werden müssen. Zudem lassen sich bei kontinuierlicher Fertigung die produzierten Mengen über die Laufzeit der Anlagen flexibel steuern. Mit anderen Worten: Mit Continuous Manufacturing ist der Herstellungsprozess vergleichsweise gut skalierbar.
Speziell Bilfingers Continuous-Manufacturing-Konzept eignet sich nicht nur für die Herstellung monoklonaler Antikörper, sondern beispielsweise auch für die Produktion von Enzymen, die in der Konsumgüterindustrie eingesetzt werden – etwa für Wasch- oder Nahrungsmittel.
Bei der budgetgerechten Umsetzung eines solchen Investitionsvorhabens kommt es vor allem auf die reibungslose Zusammenarbeit über verschiedene Kompetenzfelder hinweg an. Experten für unterschiedliche Teilprozesse müssen kooperieren und eine ganzheitliche Lösung erarbeiten, denn Continuous-Manufacturing-Anlagen sind komplex. Sie stellen andere Anforderungen an das benötigte Equipment als konventionelle Fertigungsmethoden und hohe Ansprüche an elektronische Steuerungssysteme.
Mit Continuous Manufacturing können Pharmahersteller auf den steigenden Innovations- und Kostendruck in der streng regulierten Branche reagieren und sich einen Wettbewerbsvorteil verschaffen, indem sie neue Produkte nachhaltiger und effizienter produzieren. Für die optimale Errichtung von Integrated-Continuous-Manufacturing-Anlagen ist neben Anlagenbau-Know-how und global gesammeltem Expertenwissen aus der Pharmaindustrie auch die Fähigkeit vonnöten, hoch komplexe Produktionsprozesse ganzheitlich zu betrachten und konzernübergreifend zu integrieren.
Entscheider-Facts
- Continuous Manufacturing ist eine der zehn wichtigsten aufstrebenden Technologien.
- Ohne Unterbrechungen wird der Produktionsprozess sicherer und effizienter.
- Continuous-Manufacturing-Anlagen sind aufgrund ihrer kompakten Bauweise gut transportierbar.