Entscheider-Facts
- Nachholbedarf, Nachrüstung und Nachhaltigkeitstrend treiben derzeit den Lebensmittel-Anlagenbau.
- Neue Technologien für die Produktion von alternativen Proteinen und Milchersatzprodukten bieten der Branche große Chancen.
- Kooperationen zwischen Anlagenbau, Maschinenherstellern und Kunden werden immer wichtiger.
Unsicherheit ist im Projektgeschäft Gift. Das ist so, weil Investoren berechenbare Rahmenbedingungen brauchen, um den Business-Case für ein Investitionsvorhaben darstellen zu können. Und das gilt ganz besonders dann, wenn die Zielmarge für die Produkte einer Anlage niedrig und das Wettbewerbsumfeld hart ist – so zum Beispiel im Markt für Lebensmittel. Wenn die Inflation die Kaufkraft der Konsumenten erodiert, drückt dies auch den Absatz hochwertiger Lebensmittel und Getränke. Zu beobachten war dies bereits im Frühjahr 2022: So sank der Umsatz des Lebensmittel-Einzelhandels im April 2022 nach massiven Energiepreis-Erhöhungen um 7,7 % - für das Gesamtjahr 2022 bilanzierte das Statistische Bundesamt schließlich ein Minus von 4,6 %.
Und obwohl die Lebensmittelbranche auf solche Störungen normalerweise sensibel und mit Kostensparprogrammen reagiert, hat sich das kaum in den Büchern der großen Anbieter im Lebensmittel-Anlagenbau niedergeschlagen – wie ein Blick in die jüngsten Geschäftsberichte der Branchengrößen zeigt: Der Tetralaval-Gruppe (Tetra Pack, DeLaval, Sidel) gelang es, den Umsatz um 11 % auf 15,3 Mrd. Euro zu steigern, GEA legte bei Umsatz und Auftragseingang um jeweils über 450 Mio. Euro zu (5,165 bzw. 5,679 Mrd. Euro) und die vor allem im Getränkesegement aktive Krones AG steigerte den Umsatz um 15,8 % auf 4,2 Mrd. Euro und erzielte einen Auftragseingang von knapp 5,8 Mrd. Euro.
Nachholbedarf und Nachhaltigkeit kompensieren Unsicherheiten im Markt
So unterschiedlich die Produktportfolios und Märkte der Unternehmen sind – zwei Gründe werden unisono genannt: Der Nachholbedarf nach den Corona-Jahren und der Nachhaltigkeitstrend. Standen die Vermeidung von Treibhausgasen und der effiziente Umgang mit Ressourcen mit Blick auf ESG-Ziele von Konsumenten und Finanzmärkten schon vor dem russischen Überfall auf die Ukraine auf der Agenda der Lebensmittelhersteller ganz oben, so hat das Thema infolge der Energiekrise im vergangenen Jahr massiv an Fahrt aufgenommen: Anlagenbetreiber suchen beispielsweise nach Lösungen zur Steigerung der Energieeffizienz und stellen ihre Prozesswärmeanlagen von Gas auf Strom um. Auch der Energiebedarf von Maschinen wie Mühlen, Sichtern oder Zentrifugen rückt angesichts hoher Energiepreise stärker in das Blickfeld der Betreiber – und häufig führt die Wirtschaftlichkeitsbetrachtung dann zur Investitionsentscheidung, wenn der Return on Invest passt. Dabei scheint die ehemals für Ertüchtigungsprojekte gängige Vorstellung einer Amortisationszeit von unter zwei Jahren inzwischen nicht mehr zu gelten: Strategische Überlegungen erlauben nun auch Projekte mit längeren Amortisationszeiten anzugehen.
Ein konkretes Beispiel nennt GEA: Durch den Einsatz einer Hochtemperatur-Wärmepumpe ist es dem Maschinen- und Anlagenbauer gelungen, die CO2-Emissionen bei Sprühtrocknern um 50 % zu senken. Die Schweizer Bühler Group beobachtet angesichts der Gasknappheit auch eine wachsende Nachfrage nach elektrisch beheizten Backöfen und hat Retrofit-Kits entwickelt, mit denen Gas-beheizte Öfen auf Elektroheizung umgerüstet werden können.
Ein Schlüssel zur Effizienzsteigerung ist die Digitalisierung kompletter Wertschöpfungsketten. Durch das Verknüpfen von Geschäfts- und Betriebsinformationen und die flexible Planung von Prozessen lassen sich Betriebskosten deutlich senken. Voraussetzung dafür ist ein durchgängiger Informationsfluss vom Sensor bis zur ERP-Software. Nur so können Technologien wie maschinelles Lernen und künstliche Intelligenz für neue Optimierungsansätze nutzbar gemacht werden. Welche Bedeutung Automatisierung und Digitalisierung inzwischen haben, verdeutlicht ein Blick auf das Personal bei Krones: Bei dem Anlagenbau-Unternehmen beschäftigen sich inzwischen 450 Software- und IT-Ingenieure ausschließlich mit der Entwicklung digitaler Produkte und Services. Dazu kommen weitere rund 1.000 IT-Spezialisten.
Anlagenbau setzt sich eigene Klimaziele
Der russische Überfall auf die Ukraine hatte gravierende Auswirkungen auf die Lebensmittelindustrie. In vielen Ländern ist deshalb die Ernährung der Bevölkerung in das Zentrum gerückt: Der Anlagenbau berichtet in der Folge über zahlreiche Projekte zur Lagerung von Getreide und anderen Rohstoffen, mit denen diese die Versorgung angesichts wachsender Unsicherheiten sicherstellen wollen. Auch die Regionalisierung der Wertschöpfungsketten ist ein Trend, der die Zahl der Projekte ansteigen lässt: Weniger Großanlagen, dafür mehr Projekte in kleiner oder mittlerer Größe sind die Folge.
Nachhaltiges Wirtschaften, das Aspekte der Bereiche Umwelt, Soziales und verantwortungsvolle Unternehmensführung – kurz: ESG-Kriterien – berücksichtigt, wird für Prozessbetreiber, aber auch den Anlagenbau selbst, immer stärker zum „Muss“. Einerseits, weil Anleger immer stärker darauf Wert legen, aber auch weil Banken die Finanzierung von Projekten seit der Einführung der EU-Taxonomie in 2022 an Umweltzielen und Klimaschutz ausrichten müssen.
Dass das Thema greift, sieht der Anlagenbauer
Krones eindrücklich in seinen jüngsten Zahlen: 38 % der 2022 verkauften Maschinen und Anlagen stammten aus der enviro-Reihe, die mit Blick auf Nachhaltigkeitsziele entwickelt wurden und deren Ökoeffizienz bewertet und zertifiziert wird. Der Hersteller rechnet damit, dass deren Anteil am Auftragseingang sich bereits bis 2024 auf 70 % fast verdoppeln wird.
Auch der Anlagenbau selbst setzt sich zunehmend eigene Ziele im Hinblick auf die Treibhausgas-Emissionen. Denn mit der Scope-Bilanzierung von Treibhausgas-Emissionen rückt auch der CO2-Fußabdruck von Lieferanten in das Blickfeld der Auftraggeber. Scope 3 betrachtet dabei die Emissionen in der vor- und nachgelagerten Lieferkette. So hat beispielsweise die Schweizer Bühler Group in 2022 angekündigt, die eigenen Treib-hausgas-Emissionen bis 2030 um 60 % reduzieren zu wollen. Tetra Laval und Krones haben sich vorgenommen, bis 2050 das „Netto-Null-Ziel“ zu erreichen, GEA will bereits 2040 klimaneutral wirtschaften. Und die Bilanzräume für Emissionen werden immer enger und ausgefeilter: So macht sich beispielsweise Tetra Pack auch Gedanken über den CO2-Rucksack, den Maschinen mitbringen. Für Anlagenbauer eher untypisch, empfiehlt das Unternehmen dort, wo es möglich ist, generalüberholte Anlagen anstelle von neuen einzusetzen. Das rechnet sich nicht nur durch geringere Emissionen, sondern verbessert auch den Cashflow des Anlagenbetreibers.
Neue Rohstoffe und Produkte erfordern neue Technologien
Doch nicht nur die Betrachtung von Treibhausgas-Emissionen treibt das Geschäft mit der Nachhaltigkeit. Auf der Produktseite sind es neue Ernährungsgewohnheiten und -ziele, die bei der Technologieentwicklung wichtig werden. So sind zum Beispiel flexible Produktionslinien gefragt – denn die Verbraucher lieben nicht nur die Abwechslung, sondern wollen zunehmend auch individuelle Produkte, sind aber häufig nicht bereit, mehr dafür zu bezahlen.
Dazu kommt der Megatrend Gesundheit: Einerseits steigt das Bewusstsein der Menschen im Hinblick auf die gesunde Ernährung, andererseits haben sich Lebensmittelkonzerne wie Nestlé eigene Ziele gesetzt, wie durch den Zusatz von Mikronährstoffen beispielsweise regional auftretende Besonderheiten wie Eisen- oder Jodmangel bekämpft werden können.
Eine enorm wichtige Entwicklung, die nicht nur Gesundheit, sondern auch Nachhaltigkeit und Klimaziele in den Blick nimmt, sind Proteine auf Basis von Pflanzen oder Insekten. Den angesichts einer wachsenden Weltbevölkerung und sich ändernden Ernährungsgewohnheiten ist die klassische Proteinversorgung durch den Konsum von Fleisch längst nicht mehr nachhaltig – sie verbraucht enorme Mengen an Futter und Wasser und verursacht einen gigantischen CO2-Ausstoß.
Weil der Bedarf an veganem Fleischersatz und Fleisch aus Zellkulturen regelrecht explodiert, entsteht für den Anlagenbau ein attraktiver Markt: Neue Verfahren und Maschinen gewinnen Proteine aus pflanzlichen Quellen wie Hülsenfrüchten und Samen, aber auch aus Pilzen und Insekten. Die neue „zelluläre Landwirtschaft“ zielt darauf, Fleisch aus Zellkulturen im Labor wachsen zu lassen. Auch die Produktion von Milchalternativen auf Basis von Getreide und Nüssen bedient den Nachhaltigkeitstrend. Die Produktion von Hafermilch verursacht rund 75 % weniger CO2-Emissionen als Kuhmilch.
Kooperationen und Entwicklungskompetenzen sind der Schlüssel
Ob Pflanzenprotein oder Milchalternative – die Skalierung der ehemaligen Nischenprodukte in den großtechnischen Maßstab erfordert das Know-how der Anlagenbauer: Diese entwickeln neue Mahl- und Extrusionstechnologien, Förderverfahren und Fermentationsprozesse. Entscheidend ist dabei aber in immer größerem Maße die Zusammenarbeit mit den Kunden. Denn häufig lassen sich die Eigenschaften der Rohstoffe, Zwischen- und Endprodukte nicht vorhersagen. So ist beispielsweise die Schweizer Bühler-Gruppe zuletzt eine ganze Reihe neuer strategischer Partnerschaften mit Technologiegebern, darunter Hosokawa Alpine, Flottweg und Zeta, eingegangen. Gemeinsam mit Alfa Laval entwickelt die noch junge Bühler Insect Technology Solutions (BITS) Prozesse für die Produktion von Insektenproteinen als Viehfutter. Die Besonderheit: BITS ist ein Joint Venture von Bühler und dem Insektenverarbeiter Protix.
Der Ausbau eigener Testcenter ist für die Maschinen- und Anlagenbauer dabei ein entscheidender Erfolgsfaktor: So nutzen beispielsweise GEA und Coperion eigene Einrichtungen dazu, um Kunden bei der aufwendigen Entwicklung texturierter Proteine bzw. pflanzlicher Fleischersatzprodukte zu unterstützen.
Die wachsende Komplexität der Produktionstechnik, aber auch der Mangel an qualifiziertem Servicepersonal treibt den Bedarf der Lebensmittelhersteller nach Dienstleistungen rund um den Betrieb der Maschinen. In der Folge gewinnt das Servicegeschäft für den Anlagenbau immer stärker an Bedeutung. Die Anbieter ergreifen die sich bietende Chance. Krones hat sich beispielsweise zum Ziel gesetzt, sich vom Maschinen- und Anlagenhersteller zum “Manager ganzer Getränkefabriken” zu entwickeln. Denn für den Anlagenbau bieten Serviceangebote die Möglichkeit, Schwankungen aus dem konjunktursensiblen Projektgeschäft ausgleichen zu können.
Fazit: Die Beispiele zeigen, dass der Lebensmittel-Anlagenbau stark in Bewegung ist. Ein anhaltendes Bevölkerungswachstum, steigender Wohlstand und das Bedürfnis nach hochwertigen, gesunden und nachhaltigen Lebensmitteln bieten glänzende Perspektiven für die Branche.