Finn Hänsel, Gründer und Managing Director des Berliner Cannabis-Unternehmens Sanity Group

Rechnet mit einer Verdreifachung des Marktes für medizinisches Cannabis: Finn Hänsel, Gründer und Managing Director des Berliner Cannabis-Unternehmens Sanity Group (Bild: Sanity Group)

Herr Hänsel, wie bewerten Sie die Pläne zur Cannabis-Legalisierung?

Finn Hänsel: Nach dem, was die Regierung ursprünglich mal angekündigt hatte, sind wir von dem jetzigen Ergebnis natürlich in gewisser Art und Weise enttäuscht. Denn im Koalitionsvertrag stand ja die Voll-Legalisierung. Daraus wurden nun das Zwei-Säulen-Modell: Die Säule 1 erlaubt den nicht-kommerziellen Umgang mit Cannabis, das heißt der Besitz von Cannabis wird künftig entkriminalisiert und ist nicht mehr strafbar. Parallel kann man sich in sogenannten Anbauclubs organisieren. Säule 2 umfasst dann regionale Modellversuche. Je mehr ich nach der anfänglichen Enttäuschung darüber nachdenke und in die Details schaue, glaube ich, dass dieses Konzept auch für uns als kommerzieller Anbieter sehr spannend werden könnte.

Hintergrund: Zwei Säulen der Cannabis-Legalisierung

Die Bundesregierung plant, die Cannabis-Legalisierung in zwei Schritten bzw. zwei Säulen umzusetzen. Der jetzt beschlossene Gesetzentwurf setzt die erste Säule zum Eigenanbau und -konsum um. In einem zweiten Schritt (Säule 2) soll dann die Abgabe in lizensierten Fachgeschäften angegangen werden. Geplant ist dies im Rahmen von regional begrenzten Modellprojekten. Nach der ursprünglichen Planung sollte auch dieser Gesetzesentwurf noch "nach der Sommerpause", also im Spätsommer, folgen.

So beinhaltet die Säule 1 unter anderem, dass Cannabis zukünftig kein Betäubungsmittel mehr sein wird. Und ein Betäubungsmittel ist für einen Arzt natürlich deutlich schwieriger und bürokratischer zu verschreiben als andere Arzneimittel. Beispielsweise kann man sich ja heute per Telemedizin auch verschreibungspflichtige Mittel wie Potenzmittel, die Pille oder Haarwuchsmittel verschreiben lassen, ohne einen Arzt vor Ort konsultieren zu müssen. Wenn die Klassifizierung als Betäubungsmittel wegfällt, kommen viel mehr Ärzte in Frage, die heute gar keine Betäubungsmittel verschreiben können oder wollen – zum Beispiel Gynäkologen für die Behandlung von Endometriose. Gleichzeitig steigt auch insgesamt die Schwelle für Ärzte, Cannabis als Nicht-Betäubungsmittel zu verschreiben. Für unsere Branche ist daher auch schon mit Säule 1 ein großer Sprung zu erwarten. Manche Mitbewerber gehen davon aus, der Markt könnte sich im ersten Jahr verzehnfachen. Ich bin da etwas konservativer und rechne eher mit einer Verdopplung oder Verdreifachung.

Arzt verschreibt Medizinalcannabis
Cannabis soll in Zukunft nicht mehr als Betäubungsmittel gelten und dadurch deutlich leichter von Ärzten verschrieben werden können. (Bild: MKS – stock.adobe.com)

Auch die Säule 2, also die Pilotprojekte, sind sehr spannend. Die Schweiz hat schon vor zwei Jahren Modellprojekte ins Leben gerufen. Dort wird in bestimmten Regionen meist einer Firma oder einer Institution erlaubt, Cannabis-Abgabestellen zu betreiben. Solche Projekte könnten auch in Deutschland einen großen Effekt bringen: Einmal, um zu erforschen, welche Effekte eine Legalisierung wirklich mit sich bringt, aber auch um Cannabis das Stigma zu nehmen. Wir sind die einzige deutsche Firma, die ab diesem Jahr ein Modellprojekt in der Schweiz betreiben darf, die finale Freigabe erwarten wir in den kommenden Tagen. Wir hoffen natürlich, dass uns diese Erfahrung auch in eine gute Position für die deutschen Modellversuche bringt. Anders als in der Schweiz, wo die Modellprojekte nicht kommerziell sein dürfen, wäre dann auch wirtschaftlich für uns sehr interessant. Von den Teilnehmern in der Schweiz wissen wir, dass der durchschnittliche Teilnehmer dort im Monat ungefähr 20 g konsumiert. Wenn 1 g zwischen 10 und 15 Euro kostet, käme man bei beispielsweise rund 5.000 Probanden in Deutschland auf einen Jahresumsatz von knapp 20 Mio. Euro. Das ist dann auch aus kommerzieller Sicht interessant – vorausgesetzt, das geschieht zu Rahmenbedingungen, die attraktive Margen zulassen, etwa mit der Erlaubnis zum Import.

Die wichtigsten Aussagen zusammengefasst

  • Was wird sich bei der Verschreibung von Cannabis ändern?

Mit der Änderung der Betäubungsmittelklassifizierung wird Cannabis leichter von Ärzten verschrieben werden können. Diese Änderung öffnet Türen für Ärzte, die bisher keine Betäubungsmittel verschreiben konnten, und könnte die Behandlungsmöglichkeiten für Patienten erweitern.

 

  • Wie entwickeln sich die Darreichungsformen von Cannabis?

Hänsel erwartet eine Verschiebung von Rezepturarzneimitteln hin zu Fertigarzneimitteln, wie Pillen oder Nasensprays. Er prognostiziert zudem, dass im Genuss-Cannabis die Vaporisierung und andere weniger schädliche Konsumformen an Beliebtheit gewinnen werden.

 

  • Wann ist mit einer Voll-Legalisierung von Cannabis zu rechnen?

Hänsel erwartet die Voll-Legalisierung in der nächsten Legislaturperiode. Mit den positiven Erfahrungen aus Modellprojekten glaubt er, dass auch die EU ihren Widerstand aufgeben könnte.

 

  • Lohnt sich der Cannabis-Anbau in Deutschland?

Laut Hänsel wird der Anbau in Deutschland aufgrund der hohen Energie- und Produktionskosten unwirtschaftlich sein, besonders im Vergleich zu Ländern mit günstigeren Klimabedingungen. Die Weiterverarbeitung könnte jedoch in Deutschland wettbewerbsfähig sein.

Wann rechnen Sie mit einer Voll-Legalisierung und wie bereiten Sie sich darauf vor?

Finn Hänsel: Dazu müssen nun zunächst die geplanten Gesetzesänderungen der Säule 1 und 2 umgesetzt werden. Wenn das passiert ist, glaube ich, wird sich in Bevölkerung eine Art Toleranz entwickeln. Die Menschen werden sehen: Die Welt geht nicht unter, wenn Leute, die vorher ohnehin schon illegal konsumiert haben, das jetzt legal tun. So war es auch bei den Legalisierungen in Kanada und in Kalifornien. Mit dieser positiven Erfahrung, glaube ich, wird dann schon in der nächsten Legislaturperiode eine Voll-Legalisierung angestrebt werden. Ich glaube, dass mit den Erfahrungen aus den Niederlanden, Deutschland und der Schweiz dann auch die EU ihren Widerstand aufgeben und den Ländern eine Legalisierung freistellen wird. Mit Spanien, Portugal, den Niederlanden, Deutschland, Malta, Luxemburg und Tschechien haben wir schon heute sieben Länder, die Cannabis legalisieren möchten.

Für die kommende Erleichterung des Marktes im medizinischen Bereich sind wir bereits gut aufgestellt. Wir haben beispielsweise mit unseren Herstellern schon sehr viel höhere Volumen verhandelt, als wir sie heute in den Markt bringen. Da gibt es beispielsweise einen Hersteller, der bis zu 5 t pro Jahr produzieren kann. Davon nehmen wir aktuell nur etwa 100 kg pro Jahr ab, haben aber ein Vorzugskaufrecht für bis zu 2 t. Wir haben auch für den Genussmittel-Markt schon eine Marke entwickelt.

Wie werden sich die Konsum- und Dosierungsformen entwickeln?

Finn Hänsel: Der Medizinalmarkt wird sich mit zunehmender Forschung aus meiner Sicht von den Rezepturarzneimitteln, wie sie heute noch in der Apotheke zubereitet werden, mehr in Richtung Fertigarzneimittel verschieben – also zum Beispiel in Form von Pillen, Zäpfchen oder Nasensprays. Das wird aber noch vier oder fünf Jahre dauern, aktuell sind da einfach noch nicht genügend Kandidaten in der Pipeline. Die meisten großen Pharmafirmen sind da auch noch sehr vorsichtig. Diese Skepsis bezieht sich weniger auf die Wirksamkeit von Cannabis, als vielmehr auf die mögliche Außenwirkung, wenn man mit Cannabis in Verbindung gebracht wird. In Großbritannien wurde aber zum Beispiel vor knapp zwei Jahren GW Pharma, eine der erste Firmen, die Fertigarzneimittel im Bereich Cannabis herausgebracht hat, für knapp 7 Mrd. Dollar von der irischen Jazz Pharma aufgekauft. Auch der indische Generikahersteller Dr. Reddy’s hat eine deutsche Cannabis-Firma erworben. Es beginnen sich also auch erste große Konzern mit Fertigarzneimitteln im Bereich Cannabis zu beschäftigen.

Im Bereich Genuss-Cannabis werden nach einer Legalisierung sicherlich die Blüte bzw. der Joint in den ersten Jahren weiterhin die dominante Dosierungsform bleiben. Im illegalen Markt rauchen heute fast 95 % der Konsumenten den klassischen Joint. Was wir aber in anderen Ländern sehen – also in Kanada oder in den USA in Kalifornien, Oregon, oder Florida – ist, dass über die Zeit tatsächlich mehr Leute davon wegbewegen. Es muss auch das Ziel einer Legalisierung sein, hin zu weniger schädlichen Konsumformen wie Vaporisierung, Heat-Not-Burn, Edibles oder Getränken zu kommen. Das Stichwort lautet hier Harm Reduction. Das muss auch im Zuge der Legalisierung noch sehr viel Aufklärungsarbeit geleistet werden.

Wissenschaftler beim Cannabis-Anbau
Der kommerzielle Anbau von Cannabis ist in Deutschland kaum lohnenswert. (Bild: nik0.0kin – stock.adobe.com)

Wird sich auch für kommerzielle Anbieter ein Anbau in Deutschland lohnen?

Finn Hänsel: Knapp 80 % der Kostenbasis für den Cannabis-Anbau sind Energiekosten, danach kommen Wasser- und Personalkosten. Wenn man sich nun anschaut, dass Deutschland weltweit mit die höchsten Energiepreise hat und auch bei den anderen Kosten nicht wirklich gut abschneidet, lohnt es sich wirtschaftlich kaum, hier in Deutschland Cannabis anzubauen – zumindest, wenn es um einen Weltmarkt geht, wie wir in im medizinischen Bereich schon haben. Neben der Kostenfrage ergibt es auch aus Nachhaltigkeitsgründen wenig Sinn, da beispielsweise Indoor-Gewächshäuser mit hohem Energieaufwand beheizt werden müssen. Ín anderen Ländern sind da die klimatischen Verhältnisse viel besser geeignet. Das zeigt sich dann auch bei den Kosten: In Kolumbien beispielsweise kann man 1 g Cannabis für 20 Cent einkaufen, in Kanada für 1,50 Euro. In Deutschland liegen heute allein die Produktionskosten im medizinischen Anbau schon bei 3 Euro.

Auch bei einer geplanten Legalisierung von Genuss-Cannabis wäre es daher fast verrückt, Anbieter dazu zu zwingen, auch hierzulande anzubauen. So könnten legale Anbieter preislich mit dem Schwarzmarkt kaum konkurrieren. Daher hoffe ich sehr, dass bei einer Legalisierung der Import erlaubt sein wird und sich langfristig auch ein Weltmarkt für Genuss-Cannabis entwickeln wird. Natürlich wird es immer auch eine Nische für hochpreisiges Cannabis aus Deutschland geben, die Masse wird aber auf den Preis schauen.

Anders als beim Anbau sieht es aber bei der Weiterverarbeitung aus, also beispielsweise bei der Extraktion. Der Wettbewerbsnachteil Deutschlands gegenüber Drittländern ist hier deutlich geringer, da man hier weniger Strom, weniger Arbeitseinsatz, keine Heizung und kein Wasser benötigt.

Das komplette Interview mit Finn Hänsel lesen Sie in der kommenden Ausgabe der Pharma+Food, die am 15. September erscheint.

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