Bei der Präzisionsfermentation handelt es sich um ein biotechnologisches Verfahren: Durch Mikroorganismen wie Bakterien oder Pilze werden gezielt Stoffwechselprodukte – zum Beispiel Proteine – hergestellt. Solche spezifischen Proteine können letztendlich als Inhaltsstoffe in der Lebensmittelproduktion Einzug finden.
Erste Unternehmen beschäftigen sich in diesem Umfeld beispielsweise mit der Erzeugung naturidentischer Milchproteine zur Herstellung von „tierfreiem“ Käse. „Solch neuartige Produkte in den bestehenden europäischen Rechtsrahmen einzuordnen, ist durchaus komplex. Um hier eine zuverlässige Orientierung zu schaffen, hat sich unser Team intensiv mit der Frage beschäftigt, auf welchem Wege derartige Produkte in der Europäischen Union zugelassen und wie sie deklariert werden können“, berichtet Prof. Dr. Kai Purnhagen, Inhaber des Lehrstuhls für Lebensmittelrecht in Bayreuth.
Sind die Lebensmittel gentechnisch verändert?
Nach Interviews mit Branchenvertretern und Analyse der Rechtstexte sehen die Forschenden in der EU grundsätzlich zwei mögliche Wege für die Zulassung von Produkten aus der Präzisionsfermentation: die sogenannte Novel-Food-Verordnung (EU) 2015/2283 oder die Verordnung über gentechnisch veränderte Lebensmittel und Futtermittel (EG) 1829/2003.
Die in der Präzisionsfermentation verwendeten Mikroorganismen werden nämlich zuvor genetisch modifiziert. Dies passiert, damit sie genau diejenigen Proteine bilden, die auch gebraucht werden. Diese von den Mikroorganismen gebildeten Proteine sind letztendlich im fertigen Lebensmittel enthalten, nicht mehr die veränderten Mikroorganismen selbst.
Hier stellt sich nun die Frage: Ist das Lebensmittel demzufolge gentechnisch verändert? Oder muss die Novel-Food-Verordnung Anwendung finden, da die Lebensmittel auf neuartige Weise hergestellt wurden? Entscheidend kann am Ende der Gehalt an rekombinanter DNA sein, was bedeutet: Ist im Endprodukt noch die veränderte DNA der Mikroorganismen enthalten, kommt die Verordnung über gentechnisch veränderte Lebensmittel zum Tragen. Konnten die Mikroorganismen (und ihre DNA) im Prozess aber abgetrennt werden und sind somit im Endprodukt nicht mehr vorhanden, kann die Novel-Food-Verordnung Anwendung finden. Unklar ist für die Forschenden noch der genaue Verlauf der Grenze. Kann man von einer Nulltoleranz ausgehen, oder kann auch für Lebensmittel der diskutierte Grenzwert von 10 ng rekombinanter DNA je Gramm Lebensmittel genutzt werden?
Darf „tierfrei“ auf dem Label stehen?
Neben den unterschiedlichen Wegen der Zulassung hat sich das Forschungsteam auch mit möglichen Deklarationen der neuen Produkte beschäftigt, denn: Ist ein Käse aus der Präzisionsfermentation beispielsweise vegan? Darf er überhaupt „Käse“ genannt werden? Sind Auslobungen wie „tierfrei“ möglich? Einige dieser Fragen können die Forschenden bereits beantworten, andere bleiben offen, da sich die neuartigen Produkte nicht immer in bestehende Kategorien einordnen lassen. Ähnlich wie bei pflanzenbasierten Alternativen wird, laut den Forschenden, es auch hier eine Herausforderung sein, die richtigen Worte zu finden, um für Klarheit zu sorgen und die Verbraucher ausreichend zu informieren und nicht irrezuführen. Das gilt zumindest in der EU – vor allem in Singapur und den USA gelten die Rahmenbedingungen für Start-ups aus dem Bereich der Präzisionsfermentation als deutlich einfacher.