
Wie die überraschend kleinen Moleküle der microRNA die Aktivität von Genen regulieren, ist entscheidend für die Entwicklung unterschiedlicher Zelltypen. Störungen des Mechanismus können schwerwiegende Folgen haben. (Bild: The Nobel Committee for Physiology or Medicine. Ill. Mattias Karlén)
Das Nobelkomittee des schwedischen Karolinska Institute verleiht den Preis „für die Entdeckung der microRNA und ihrer Rolle in der posttranskriptionalen Genregulation.“ Damit würdigt die Organisation zwei Wissenschaftler für die Entdeckung eines grundlegenden Prinzips, das die Regulation der Genaktivität bestimmt.
Die in Chromosomen verpackte Erbinformation ist mit einem Handbuch vergleichbar, dass im Kern jeder Zelle des Körpers vorliegt. Jede Zelle enthält dieselben Chromosomen, daher besitzt jede Zelle genau denselben Satz von Genen und genau dieselben Anweisungen. Dennoch haben verschiedene Zelltypen, wie Muskel- und Nervenzellen, sehr unterschiedliche Eigenschaften. Diese Unterschiede und damit die Möglichkeit zu unterschiedlichen Funktionen entstehen durch die Genregulation, die es jeder Zelle ermöglicht, nur die relevanten Anweisungen auszuwählen. Dies stellt sicher, dass nur der korrekte Satz von Genen in jedem Zelltyp aktiv ist.
Neue Klasse winziger RNA-Moleküle
Victor Ambros und Gary Ruvkun waren daran interessiert, wie sich verschiedene Zelltypen entwickeln. Sie entdeckten die microRNA, eine neue Klasse winziger RNA-Moleküle, die eine entscheidende Rolle in der Genregulation spielen. Ihre bahnbrechende Entdeckung enthüllte ein völlig neues Prinzip der Genregulation, das sich als essenziell für mehrzellige Organismen, einschließlich des Menschen, herausstellte. Es ist inzwischen bekannt, dass das menschliche Genom über tausend microRNAs kodiert. Ihre überraschende Entdeckung eröffnete eine völlig neue Dimension der Genregulation. MicroRNAs erweisen sich als grundlegend wichtig für die Entwicklung und Funktion von Organismen.
Genetische Information fließt von der DNA zur Boten-RNA (mRNA) über einen Prozess, der Transkription genannt wird, und dann weiter zur zellulären Maschinerie zur Proteinproduktion. Dort werden mRNAs übersetzt, sodass Proteine entsprechend den in der DNA gespeicherten genetischen Anweisungen hergestellt werden.
Was sind microRNA und mRNA?
Die Begriffe der microRNA und der insbesondere im Zusammenhang mit Covid-19-Impfstoffen viel diskutierten mRNA sind zwar ähnlich, beschreiben aber unterschiedliche Arten von RNA-Strängen. Die microRNA stellt, wie der Name sagt, sehr kurze Stränge mit regulatorischer Aktivität dar. Der Begridd mRNA dagegen steht für Messenger- oder Boten-RNA, wobei es sich gewissermaßen um Abschriften der Information eines Gens handelt, welche es in eine Proteinstruktur zu übersetzen gilt.
Sie untersuchten zwei Wurmstämme mit Mutationen in unterschiedlichen Genen namens lin-4 und lin-14. Diese verursachen Defekte in der zeitlichen Aktivierung genetischer Programme während der Entwicklung der Würmer. Ambros hatte zuvor gezeigt, dass das Gen lin-4 offenbar ein negativer Regulator des Gens lin-14 war, es also hemmt. Wie jedoch die Aktivität von lin-14 blockiert wurde, war unbekannt.
Ambros konnte durch methodische Kartierung das Gen lin-4 klonieren und stellte eine unerwartete Entdeckung fest: Das Gen lin-4 produzierte eine ungewöhnlich kurze RNA, die keinen Code für die Proteinproduktion enthielt. Diese überraschenden Ergebnisse legten nahe, dass diese kleine RNA für die Hemmung von lin-14 verantwortlich war. Gleichzeitig untersuchte Ruvkun die Regulation des Gens lin-14 und stellte fest, dass nicht die Produktion von mRNA durch lin-14 von lin-4 gehemmt wurde, sondern dass die Regulation zu einem späteren Zeitpunkt der Genexpression, nämlich während der Proteinsynthese, erfolgte. Die beiden Preisträger verglichen ihre Ergebnisse, was zu einer bahnbrechenden Entdeckung führte: Die kurze lin-4-Sequenz passte zu komplementären Sequenzen im kritischen Segment der lin-14-mRNA. Ambros und Ruvkun zeigten, dass die lin-4-microRNA durch Bindung an komplementäre Sequenzen der lin-14-mRNA die Proteinproduktion blockiert. Ein neues Prinzip der Genregulation durch eine zuvor unbekannte RNA-Klasse, die microRNA, war entdeckt.
Möglichkeit der Evolution zunehmend komplexer Organismen
Weitere Forschung hat ergeben, dass diese Genregulation durch microRNA bereits seit Hunderten Millionen von Jahren existiert. Dieser Mechanismus hat die Evolution zunehmend komplexerer Organismen ermöglicht. Genetische Untersuchungen haben gezeigt, dass Zellen und Gewebe sich ohne microRNAs nicht normal entwickeln. Eine fehlerhafte Regulation durch microRNAs kann zu Krebs beitragen. Mutationen in Genen, die für microRNAs kodieren, wurden auch beim Menschen gefunden und verursachen Erkrankungen wie angeborenen Taubheit und Störungen der Entwicklung der Augen oder des Skeletts. Mutationen in einem der für die microRNA-Produktion erforderlichen Proteine führen zum Dicer1-Syndrom, einem seltenen, aber schweren Syndrom, das mit Krebs in verschiedenen Organen und Geweben verbunden ist. Die Erforschung des Wirkmechanismus dahinter ist somit auch Grundlage für das Verständnis und die mögliche Früherkennung und Behandlung angeborener Krankheiten.