Mehr Kurzarbeit im April

Corona-Krise härter als Finanzkrise 2009

In der Chemie- und Pharmabranche haben 43 % der Betriebe aufgrund der Corona-Krise Kurzarbeit angemeldet. Im April wird jeder Siebte Beschäftigte der Branche in Kurzarbeit sein, erwartet der Arbeitgeberverband BAVC aufgrund einer Blitzumfrage.

Pharmaceutical factory woman worker in protective clothing operating production line in sterile environment
Große Monoprodukt-Anlagen sind in Zukunft immer weniger gefragt. Der Trend geht zu flexiblen, modular aufgebauten Prozessen.

Betroffen von Kurzarbeit sind knapp 85.000 von 580.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern (14 %). Gegenüber März ist das ein Anstieg um den Faktor fünf. Der durchschnittliche Arbeitsausfall der betroffenen Beschäftigten wird mit 65 % doppelt so hoch liegen wie in der Krise 2009. Dabei sind Unternehmen und Beschäftigte entlang der Zulieferketten für die Automobilindustrie (z. B. Lacke, Kunststoff, Reifen, Fasern) am stärksten betroffen. Die meisten Unternehmen nutzen das Instrument der Kurzarbeit aber nur für einzelne Bereiche oder Produktionslinien und nicht für ganze Betriebe. Der Chemiearbeitgeber-Verband BAVC ermittelte diese Zahlen in einer Blitzumfrage unter den 1.900 Mitgliedsunternehmen, an der sich fast 250 Betriebe mit gut 240.000 Beschäftigten beteiligt hatten.

Ursache für Kurzarbeit ist in den allermeisten der betroffenen Betriebe mangelnde Nachfrage von Seiten der Kunden, dies gaben 76 % der befragten Unternehmen im April an. Aber auch Personalengpässe durch hohen Krankenstand oder fehlende Kinderbetreuung tragen in fast einem Drittel (30 %) der betroffenen Betriebe zu Kurzarbeit bei. Jeder fünfte (20 %) der im April voraussichtlich Kurzarbeit nutzenden Betriebe erwartet dies als Folge fehlender Vorprodukte; meist wegen Lieferschwierigkeiten aus dem europäischen Ausland. Die Umfrage wurde Ende März 2020 durchgeführt und gibt den Kenntnis-bzw. Erwartungsstand zu diesem Zeitpunkt wieder.

Industrie leistet wichtigen Beitrag zur Bewältigung der Krise

Dazu BAVC-Präsident Kai Beckmann:„Mit schon jetzt über 80.000 Beschäftigten in Kurzarbeit trifft uns die Corona-Krise weitaus härter als die Finanz-und Wirtschaftskrise 2008/2009. Damals waren in der Spitze etwa 50.000 Beschäftigte in unserer Branche in Kurzarbeit.“ Das schnelle Ermöglichen von Kurzarbeit durch Bund und Länder sei darum ein wichtiger Schritt gewesen, Kurzarbeit könne in der Krise nun umfassender genutzt werden, um Beschäftigung zu erhalten und Einkommen zu sichern, führte Beckman aus.

Die Umfrage zeige aber auch, dass 85 Prozent der Beschäftigten ihrer Arbeit im üblichen Umfang nachgehen, wenn auch vielfach unter erschwerten Bedingungen. „So kann unsere Industrie die Produktion bisher weitgehend aufrechterhalten und einen wichtigen Beitrag zur Bewältigung der Krise leisten“, betonte Beckmann. Notwendig dazu seien aber umfangreiche Schutzmaßnahmen und die Versorgung mit Schutzausrüstung, zum Beispiel durch eine zentrale Stelle für Beschaffung und Verteilung von Schutzausrüstung nach Priorität. „Außerdem brauchen wir dringend einen Plan mit nachvollziehbaren Kriterien, um das gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben schrittweise und kontrolliert wieder hochzufahren“, warnte Beckmann. „Anderenfalls werden noch mehr Lieferketten reißen, wir werden noch mehr Nachfrage verlieren und die Kurzarbeit zusätzlich ausdehnen müssen.“ (ak)

Pharmaindustrie in der Coronakrise

Street scene in nyc
Die pharmazeutischen Unternehmen forschen fieberhaft nach Heil- und Impfstoffe, spüren wie andere Industrien aber auch zunehmend die Auswirkungen von Ausgangssperren und Problemen bei den Lieferketten. Wir fassen die aktuellen Entwicklungen in der Branche zusammen.
roche
Um Infizierte zu erkennen und Infektionsketten zu durchbrechen, werden derzeit überall die Testkapazitäten für den Coronavirus hochgefahren. Während solche Tests beispielsweise schon frühzeitig von Unternehmen wie Qiagen kamen, entwickeln verschiedene Pharma-Größen neue Testverfahren, um größere Probenmengen in kurzer Zeit zu ermöglichen. Schon am 13. März erhielt Pfizer von der US-amerikanischen Gesundheitsbehörde FDA eine Notfallzulassung für ihren Test Cobas, der in der Folge auch in vielen anderen Märkten zugelassen ist. Auch Thermo Fisher bekam eine sogenannte Emergency Use Authorization (EUA). Am 18. März folgte der Pharmakonzern Abbott, der gleichzeitig ankündigte, etwa 150.000 Tests in den USA auszuliefern. Das Pharmaunternehmen Eli Lilly kündigte an, seine Labors zur Verfügung zu stellen, um Proben aus dem Bundesstaat Indiana zu analysieren.
Virus and antibodies close-up on DNA background, scientific back
Neben Test wird mit Hochdruck auch an Heilmitteln für die durch den Virus ausgelöste Lungenkrankheit Covid-19 geforscht. Auf dieser Suche schließen sich viele Pharmaunternehmen zusammen: Vir Biotechnology und Biogen unterzeichnen am 12. März eine Absichtserklärung für die Entwicklung und Herstellung von monoklonalen Antikörpern gegen Covid-19. Auch Abcellera and Eli Lilly wollen zusammen an Antikörpern forschen. Gerüchte, dass das HIV-Mittel Darunavir auch bei Sars-CoV-2 bzw. Covid-19 helfen könne, wies Johnson&Johnson zurück. Dafür gebe es keine Belege. Dagegen gibt es Hinweise, dass das Jahrzehnte-alte Malariamittel Chloroquin bei Covid-19-Patienten wirken könnte. Bayer hat der US-Regierung daher 3 Mio. Tabletten gespendet.
biontech
In weiterer Ferne liegt dagegen noch ein Impfstoff gegen den Coronavirus. Doch es gibt hoffnungsvolle Entwicklungen – unter anderem aus Deutschland. Für seinen möglichen, auf Messenger-RNA (M-RNA) basierenden Impfstoff hat das Mainzer Unternehmen Biontech am 17. März mit dem Pharmariesen Pfizer eine Kooperationsvereinbarung getroffen. Diese umfasst die weltweite Entwicklung und den Vertrieb. Für China hatte sich das Unternehmen zuvor bereits mit Fosun Pharma zusammengetan. Auch das Tübinger Unternehmen Curevac hat einen vielversprechenden Impfstoff in der Pipeline und musste von Eigner Dietmar Hopp gegen Abwerbe-Avancen der amerikanischen Regierung geschützt werden. Das US-Unternehmen Moderna gab am 16. März bekannt, seinen M-RNA-Impfstoff in einer klinischen Studie der Phase I erstmals an einen Probanden verabreicht zu haben.
Sanofi
Während viele Pharmaunternehmen derzeit also unter Hochdruck arbeiten, geraten wie in anderen Branchen auch die Lieferketten in Gefahr. So berichtete etwa GE Healthcare Life Sciences am 11. März von Störungen bei Lieferanten und zunehmenden Problemen beim Transport. Novartis erwartete dagegen zum gleichen Zeitpunkt noch keine Schwierigkeiten bei der Lieferkette. Ähnliches gab es eine Woche später von Oxford Biomedica und Sanofi zu hören. Bora Pharmaceuticals gab am 18.3. bekannt, die Liefersituation sei zwar derzeit unter Kontrolle, man wolle gleichzeitig aber Lagerbestände aufstocken. Um die Lieferketten von Unternehmen zu schützen, die die Medikamente zur Bekämpfung von Covid-19 herstellen und vertreiben, kündigte die Asiatische Entwicklungsbank bereits am 12. März ein 200 Mio. US-Dollar schweres Programm an. Der LohnherstellerWuxi Apptec gab derweil schon am 11. März bekannt, den Betrieb in der chinesischen Stadt Wuhan, wo der Ursprung der Epidemie vermutet wird, wieder aufgenommen zu haben.
MErck
Viele Veranstaltungen in der Pharmabranche wurden dagegen abgesagt. Die Messe CPHI North America, die ursprünglich Anfang Mai in Philadelphia stattfinden sollte, wurde am 12. März auf den 9. bis 11. September verschoben. Auch der Darmstädter Pharmakonzern Merck verschob seine für den 24. April in Frankfurt angesetzte Hauptversammlung wegen des Coronavirus auf unbestimmte Zeit.
astra zeneca
Auch sonst sorgt das Virus für Verwerfungen im Arbeitsablauf der Pharmaunternehmen. Zahlreiche Unternehmen wie Astrazeneca, Novartis, Bristol Myers Squibb, Amarin und Genetech verstärken Homeoffice-Angebote und/oder verringern Vertriebsaktivitäten mit physischem Kontakt. Auch die US-Gesundheitsbehörde FDA empfiehlt in ihren am 18. März veröffentlichten Leitlinien für klinische Studien während der Corona-Epidemie mehr telefonische Kontakte, virtuelle Besuche sowie eine zusätzliche Sicherheitsüberwachung für Studienteilnehmer. Am 17. März wurde bekannt, dass die Coronasituation auch die Megafusion von Abbvie und Allergan wahrscheinlich verzögern wird.