Spätestens die Entwicklung und Produktion des ersten Covid-19-Impfstoffes auf mRNA-Basis hat gezeigt, dass in Deutschland bereits umfassende Kompetenzen für RNA-basierte Medikamente versammelt sind. Aufbauend auf diesem Erfolg erweitern gerade mehrere Unternehmen ihre Produktionskapazitäten in diesem Bereich. „Die Pharmabranche ist eine Schlüsselindustrie für die Zukunft Deutschlands; und RNA ist eins der Kompetenzfelder, in denen sie hierzulande zur Weltspitze zählt“, erklärte Han Steutel, der Präsident des Verbands der forschenden Pharma-Unternehmen (VFA).
Was leistet natürliche und künstliche RNA?
Es gibt mehrere Typen von RNA-basierten Medikamenten. Die Abkürzung RNA steht für Ribonucleic Acid, deutsch: Ribonukleinsäure, RNS. Natürliche RNA-Moleküle findet man in jeder Zelle. Stets stellen sie Ketten dar, die im kürzesten Fall aus um die 20, im längsten Fall aus mehr als 10.000 Molekülabschnitten – den sogenannten Nukleotiden – bestehen. Sie erfüllen unterschiedliche Aufgaben. Am bekanntesten sind die messenger-RNAs (mRNAs), die für die Bildung bestimmter Proteine sorgen. MicroRNAs wiederum greifen in die Genregulation der Zellen ein. Weitere Arten von RNA wirken an der Proteinbildung in den Zellen mit oder erfüllen noch andere Zwecke.
RNA-basierte Medikamente enthalten künstlich hergestellte RNAs. Diese weichen üblicherweise in ihrem Molekülaufbau leicht von natürlichen RNAs ab, damit sie im Körper nicht so schnell abgebaut werden oder bestimmte Abwehrreaktionen auslösen. Häufig ist die RNA bei den Medikamenten in winzigen Bläschen „verpackt“, sogenannten Lipidnanopartikeln, die ihnen nach einer Injektion Schutz bieten und helfen, in Zellen hineinzugelangen.
Welche Typen von RNA-Medikamenten gibt es?
Die gängigsten Typen von RNA-basierten Medikamenten sind die folgenden:
mRNA-Medikamente
Wirkungsweise: mRNA-Medikamente – dazu zählen Impfstoffe ebenso wie Therapeutika – bringen Zellen dazu, ein ihnen bis dato unbekanntes Protein herstellen. Im Fall der mRNA-Impfstoffe gegen Covid-19 handelt es sich beispielweise um das Spike-Protein des Erregers SARS-CoV-2.
Bereits zugelassene Anwendungen: Schutzimpfungen gegen Covid-19
Anwendungen in Entwicklung: Schutzimpfungen gegen andere Erreger (z.B. Grippeviren, RSV), Krebsimmuntherapien, Therapien bei Gendefekten, Erzeugung pluripotenter Stammzellen als Verfahrensschritt für Zelltherapien u.a.
Antisense- und siRNA-Medikamente
Wirkungsweise: Antisense- oder siRNA-Medikamente enthalten kürzere RNA-Stücke (sogenannte RNA-Oligonukleotide), die das Gegenteil von mRNA-Medikamenten bewirken: Sie unterbinden die Bildung eines bestimmten Proteins in den Zellen, in die sie gelangen, oder fangen bestimmte microRNAs ab. Dabei unterscheiden sich Antisense-RNA und siRNA (small interfering RNA) etwas im Aufbau und in der Wirkungsweise.
Bereits zugelassene Anwendungen: Therapie von Stoffwechsel- und neurologischen Krankheiten
Anwendungen in Entwicklung: Therapie von Herz- und Viruserkrankungen u.a.
RNA-Aptamer-Medikamente
Wirkungsweise: RNA-Apatamer-Medikamente enthalten geknäuelte RNA-Ketten. Durch ihre räumliche Struktur binden sie an bestimmte Proteine und stoppen sie so in ihrer Aktivität. Eine besondere Art von Aptameren – die Spiegelmere – bestehen aus einer künstlichen RNA, in der alle Atome gegenüber natürlicher RNA in einer spiegelbildlichen Position liegen.
Bereits zugelassene Anwendungen: derzeit keine (ein früher zugelassenes Medikament wird nicht mehr vermarktet)
Anwendungen in Entwicklung: Dämpfung von Entzündungsreaktionen, wirksamere Behandlung solider Tumore u.a.
Wo werden in Deutschland RNA-Medikamente produziert?
Für Medikamente mit allen RNA-Typen sowie ihre Komponenten (beispielsweise für das Einbringen der RNA-Moleküle in ihre Zielzellen) gibt es in Deutschland Produktionskapazitäten. Unsere interaktive Übersicht zeigt von welchen Unternehmen und wo. Einzelheiten zu den Standorten finden Sie beim Berühren der einzelnen Punkte auf der Karte.
Die Karte zeigt: Deutschland zählt im Bereich RNA zur Weltspitze. Allein steht Deutschland hier allerdings nicht: Wichtige Wettbewerber sind beispielsweise die USA, China, Belgien, Indien und die Schweiz. „Deutschland hat also mittelfristig nur Chancen auf neue RNA-basierte Exportprodukte, wenn es jetzt am Ball bleibt“, fordert VFA-Präsident Steutel. Die Politik sollte laut dem Verband daher neben der schon laufenden Förderung von Einzelprojekten beispielsweise auch für eine raschere Genehmigungen bei Bauanträgen für Produktionsstätten sorgen.