Cannabisproduktion unter GMP-Bedingungen
Interview mit Sascha Mielcarek, CEO, Canify
Zwar wird mehr über die Teillegalisierung von Cannabis für den Freizeitgebrauch gesprochen, aber auch für die medizinische Anwendung hat sich gesetzlich etwas getan. Höchste Zeit also herauszufinden, wie die Produktion von medizinischem Cannabis funktioniert.
PF: Wie sieht der Anbau von medizinischem Cannabis aus?
Sascha Mielcarek: Wir bauen nicht selbst an, sondern beziehen unser Rohmaterial aus insgesamt zehn Ländern, darunter Kanada, Kolumbien, Uruguay, Südafrika, Portugal und Spanien. Kanada ist derzeit unser größter Lieferant, da es dort schon viele Jahre eine etablierte Gesetzgebung gibt und sich daher entsprechend viele Produktionsunternehmen angesiedelt haben. Die Pflanzen müssen strengsten pharmazeutischen Standards entsprechen – diese sind in einer sogenannten Pharmakopöe festgelegt und beinhalten unter anderem Grenzwerte für Schimmelsporen, Schwermetalle, Toxine und Bakterien. Nur wenn all diese Anforderungen erfüllt sind, darf das Produkt überhaupt als Arzneimittel abgegeben werden.
Unsere Partnerbetriebe werden vorab von unserem Qualitätsteam persönlich auditiert. Dabei prüfen wir Prozesse, Standard Operating Procedures (SOP), Qualitätsmanagementsysteme und Infrastruktur. Erst wenn alles passt, schlagen wir den Hersteller den zuständigen Behörden zur Zulassung vor. Darüber hinaus wird jede Charge, die für den deutschen oder europäischen Markt bestimmt ist, erneut geprüft – teilweise auch reanalysiert, um die Angaben des Herstellers unabhängig zu bestätigen. Der Anbau selbst findet meist indoor statt, gelegentlich auch im Gewächshaus, jedoch immer unter GMP-Bedingungen, also nach pharmazeutischen Produktionsstandards. Diese Vorgaben sind deutlich strenger als im Freizeitbereich oder beim Eigenanbau und betreffen jeden Aspekt – von Beleuchtung über Luftqualität bis zur Hygiene.
PF: Spielen nachhaltige Anbauverfahren oder CO₂-Reduktionsstrategien eine Rolle?
Mielcarek: Auch wenn es aktuell keine gesetzliche Verpflichtung zur Nachhaltigkeit im Cannabisanbau gibt, widmen wir uns dem Thema. Als Naturprodukt hat Cannabis eine besondere Nähe zu Fragen der Umweltverträglichkeit. Wir setzen vor allem auf Anbauländer mit klimatischen Vorteilen – etwa südliche Regionen –, wodurch der Energiebedarf für Beleuchtung oder Temperaturregelung geringer ausfällt als beispielsweise in Deutschland.
PF: Wie wird aus dem eingekauften Rohmaterial apothekenfertiges Medizinalcannabis?
Mielcarek: Zunächst unterziehen wir das angelieferte Rohmaterial einer umfassenden Qualitätskontrolle. Dabei prüfen wir, ob die Ware den Spezifikationen entspricht, die wir zuvor auditiert und vertraglich festgelegt haben. Anschließend wird das Material aus Großgebinden in kleinere Einheiten überführt, beispielsweise in Dosen oder Beutel. Was auf den ersten Blick wie ein einfacher Verpackungsvorgang wirkt, ist in Wahrheit ein hochregulierter Prozess: Hinter jeder Verpackung stehen rund 150 Standardarbeitsanweisungen (SOP), die von der Regierung von Oberbayern geprüft und genehmigt wurden.
Die Verpackung erfolgt unter streng kontrollierten Bedingungen, um sicherzustellen, dass das Endprodukt bedenkenlos in tiefes Lungengewebe inhaliert werden kann – ohne jegliche Kontaminationsrisiken. Erst nach erfolgreicher Prüfung und Freigabe übernehmen wir die pharmazeutische Verantwortung für das Produkt. Das bedeutet: Sollte es zu einem Zwischenfall in der Apotheke oder beim Patienten kommen, sind wir verpflichtet, die Ursache lückenlos nachzuvollziehen. Nach der Freigabe erfolgt die Auslieferung an Apotheken oder pharmazeutische Großhändler. Bei Cannabisblüten setzen wir vor allem auf den Direktvertrieb an Apotheken, während Extrakte und innovative Darreichungsformen eher über klassische Großhandelsstrukturen vertrieben werden.
Auch die Logistik unterliegt besonderen Anforderungen: Die Produkte müssen temperaturkontrolliert transportiert werden. Obwohl Medizinalcannabis heute nicht mehr als Betäubungsmittel klassifiziert ist, unterliegt jede Bewegung – vom Wareneingang bis zur Auslieferung – einer lückenlosen Dokumentation. Auch unsere Logistikpartner müssen entsprechend qualifiziert sein. Wir arbeiten mit Deutschlands größtem Betäubungsmittel-Großhändler zusammen, sodass wir sicherstellen können, dass Apotheken in der Regel innerhalb von zwei Stunden beliefert werden können, wenn die Bestellung vor 15 Uhr erfolgt.
PF: Wie sichern Sie die Wirkstoffkonzentration?
Mielcarek: Das beginnt bei der Genetik. Unsere Lieferanten verwenden keine Samen, sondern arbeiten mit Klonen ausschließlich weiblicher Pflanzen, die genetisch stabil sind. Diese werden von sogenannten Mutterpflanzen gewonnen, die alle vier bis sechs Monate ersetzt werden, um die Frische der Genetik zu bewahren. Der gesamte Anbau erfolgt in geschlossenen Systemen mit künstlicher Beleuchtung und Luftzufuhr – UV-Strahlung oder andere äußere Einflüsse, die das Erbgut verändern könnten, werden so ausgeschlossen. Zwar kann es zwischen verschiedenen Sorten Wirkstoffschwankungen geben, das ist bei Naturstoffen normal. In der Praxis lässt sich ein schwankender THC-Gehalt über die Dosierung ausgleichen, ähnlich wie bei anderen Medikamenten.
PF: Wie unterscheidet sich Medizinalcannabis vom Freizeitprodukt?
Mielcarek: Medizinalcannabis wird unter strengsten pharmazeutischen Bedingungen angebaut und verarbeitet. Jede Blüte wird getestet – nicht nur auf Wirkstoffe, sondern auch auf Schadstoffe, Keime oder Schwermetalle. In der Verarbeitung, also etwa beim Umfüllen von Großgebinden in patientengerechte Verpackungen, gelten rund 150 definierte SOP, die von der Regierung Oberbayern auditiert und genehmigt wurden. Diese regeln alles, was nötig ist, damit das Produkt sicher für die Inhalation oder orale Einnahme ist.
Die Abgabe erfolgt ausschließlich über Apotheken und nur auf ärztliche Verschreibung. Auf dem Rezept sind neben dem THC-Gehalt auch Hersteller, Marke und genaue Analysewerte dokumentiert. Zusätzlich gibt es zertifizierte Laboranalysen. Das alles sorgt für Transparenz, Sicherheit – und nicht zuletzt auch für Steuereinnahmen, denn wir operieren in einem regulierten Markt.
PF: Was hat die Teillegalisierung seit April 2024 verändert?
Mielcarek: Sie war ein echter Meilenstein. Cannabis wurde aus dem Betäubungsmittelgesetz herausgenommen und ist nun ein ganz normales rezeptpflichtiges Medikament wie ein Schmerzmittel oder ein Antibiotikum. Das erleichtert die Verordnung für Ärztinnen und Ärzte erheblich. Sie benötigen keine speziellen Betäubungsmittel-Rezepte mehr, was viele bürokratische – und emotionale – Hürden beseitigt hat.
Zudem sind telemedizinische Verordnungen jetzt möglich. Da nur rund 2.500 bis 3.000 der 90.000 Ärzte in Deutschland sich bisher mit der Cannabis-Therapie beschäftigen, erleichtert die Telemedizin Patientinnen und Patienten, einen geeigneten Arzt zu finden.
PF: Wie beeinflusst aus Ihrer Sicht der neue Freizeit- den Medizinalmarkt?
Mielcarek: Es handelt sich um zwei Gesetzesänderungen, die gleichzeitig vorgenommen wurden: Medizinalcannabis gehört nicht mehr zu den Betäubungsmitteln und Cannabis wurde – mit Einschränkungen – für den Privatgebrauch legalisiert. Derzeit erleben wir keine Konkurrenzsituation, sondern eher eine Ergänzung. Viele Menschen, die Cannabis bislang illegal zur Selbstmedikation nutzten – bei Schlafstörungen, Depressionen oder chronischen Schmerzen – haben nun Zugang zum geregelten medizinischen Markt. Die Teillegalisierung entkriminalisiert diesen Bedarf und erleichtert den Wechsel in eine ärztlich begleitete Versorgung.
Natürlich ist noch nicht absehbar, wie sich die beiden Märkte langfristig entwickeln. Der Freizeitmarkt steckt in Deutschland noch in den Anfängen, zum Beispiel, was die Einrichtung der sogenannten Social Clubs betrifft.
PF: Wie stark beeinflussen internationale Regularien Ihr Exportgeschäft?
Mielcarek: Unser Hauptfokus liegt klar auf dem deutschen Markt. Er ist der größte in Europa, mit dem am weitesten entwickelten regulatorischen Rahmen.Deutschland ist, wenn man so will, ein Vorreiter. Das wirkt sich auch auf unsere Exportfähigkeit aus. Produkte, die hier zugelassen sind, erfüllen meist auch die GMP-Standards in der Schweiz, England und Australien, darum ergibt es Sinn, sich diesen Märkten zuzuwenden.
Was jedoch fehlt, ist eine einheitliche europäische Regulierung. Jedes Land verfolgt eigene Strategien. Für uns bedeutet das, dass wir viele Dinge doppelt tun müssen – etwa neue Dossiers schreiben oder eigene Verpackungsanforderungen erfüllen. Wir exportieren bereits nach England und in die Schweiz, prüfen aktuell aber auch Märkte wie Australien und Polen. Letzteres wäre regulatorisch fast ein kompletter Neustart.
PF: Wie differenzieren Sie sich vom Wettbewerb?
Mielcarek: Unsere klare Positionierung ist: Wir sind ein pharmazeutisches Unternehmen, das Cannabisprodukte herstellt. Rund 85 Prozent unseres Teams stammen aus der klassischen Pharmaindustrie. Dieses Know-how spiegelt sich in jedem Prozess wider – von der Entwicklung über die Produktion bis zur Marktfreigabe. Bei vielen anderen Marktteilnehmern handelt es sich um junge Unternehmen, während wir schon Erfahrung auf dem Pharmamarkt haben und dadurch nachhaltig wirtschaften können.
Zudem sind wir von der Breite etwas anders als andere Unternehmen, weil wir fast die gesamte Wertschöpfungskette abdecken: Wir haben eine eigene Herstellstätte, vermarkten Produkte unter eigener Marke, fertigen für Dritte, betreiben eine Cannabis-Klinik und unterhalten einen pharmazeutischen Außendienst. Letzterer ist im Cannabissektor eher die Ausnahme.
PF: Sehen Sie Potenzial für neue Darreichungsformen?
Mielcarek: Der Markt wird aktuell von Blüten und Extrakten dominiert. Wir haben als erstes Unternehmen in Deutschland ein sublinguales Spray auf den Markt gebracht. Es wird unter die Zunge gesprüht und hat eine deutlich höhere Bioverfügbarkeit im Vergleich zu oral eingenommenen Tropfen. Das liegt an der speziellen Galenik: Die Wirkstoffe müssen in Nanopartikelgröße vorliegen, damit sie über die Schleimhäute aufgenommen werden. Parallel arbeiten wir an einem inhalativen Device, das einem Asthmaspray ähnelt. Es soll 2026 oder 2027 marktreif sein. Anders als bei Vaporisateuren – die schwer dosierbar sind – lässt sich hier genau bestimmen, wie viel Wirkstoff eingeatmet wird. Das macht es für Ärztinnen und Ärzte einfacher, Cannabis als echte Therapieoption zu betrachten.