Entscheider-Facts
- Weil neue Wirkstoffe oft extrem schlecht löslich sind, muss das beste Verfahren für die notwendige Darreichungsform gefunden werden.
- Zur Wahl stehen amorphe disperse Systeme (amorphous solid dispersions, ASD) und feste Dispersionen (solid dispersions).
- Der Auswahlprozess ist komplex und erfordert den intensiven Austausch zwischen Pharmazeut und Maschinenlieferant.
Neue Wirkstoffe sind häufig extrem schlecht löslich – bringt Dr. Norbert Pöllinger, Leiter Technology Development bei Glatt Pharmaceutical Services, das Grundproblem auf den Punkt. Oft ist diese Eigenschaft zudem noch kombiniert mit einem Geschmack, der die Akzeptanz beim Patienten strapaziert. Und: Auch die Ansprüche an die Darreichungsform steigen. Wo früher die erforderliche Wirkstoffmenge in große Tabletten verpresst wurde, sind für die Behandlung von älteren Menschen oder Kindern heute oft leichter schluckbare Systeme wie orale Flüssigkeiten, Mikropellets etc. gefordert.
„Oft müssen relativ große Mengen eines Wirkstoffs verabreicht werden, die mit einem definierten Profil im Körper freigesetzt und gelöst werden müssen, um über das Blut die entsprechenden Organe zu erreichen“, ergänzt Norbert Pöllinger. Immer dann, wenn die Differenz zwischen der Löslichkeit des Wirkstoffs (API) und der zu absorbierenden Menge groß ist, besteht Handlungsbedarf.
In der Praxis stehen zwei generelle Technologien zur Verfügung: amorphe disperse Systeme (amorphous solid dispersions, ASD) und feste Dispersionen (solid dispersions). Während Letztere aus der Kombination eines Wirkstoffs mit einem Lösungs-Vermittler (Solubilizer) – in der Regel ein Tensid – bestehen, lassen sich amorphe Feststoffdispersionen durch die Kombination eines kristallinen Wirkstoffs mit einem wasserlöslichen Polymer herstellen. Denn im Gegensatz zum kristallinen API entsteht bei der Reaktion einer amorphen Feststoffdispersion mit dem Magen-Darm-Saft eine übersättigte Lösung, aus der der Wirkstoff in die Blutbahn resorbiert werden kann.
Häufig werden Wirkstoffe gemeinsam mit dem Polymer Polyvinylpyrrolidon (PVP) in einem Lösemittel wie Ethanol gelöst. Wird der Alkohol anschließend verdampft, entsteht die gewünschte amorphe Feststoffkombination aus Wirkstoff und Polymer. Und spätestens hier beginnt die Qual der Wahl: Welches ist das beste Verfahren für die Evaporation des Lösemittels? Wo liegen die Vor- und Nachteile?
Verschiedene Verfahren für ASD
Grundsätzlich hat der Pharmazeut hier die Wahl zwischen verschiedenen Technologien: Im Wesentlichen sind dies die Sprühtrocknung und die Wirbelschichtgranulation. Der kontinuierlich arbeitende Sprühtrocknungs-Prozeß produziert in der Regel ein sehr feines Pulver, das nicht ohne Weiteres zu Tabletten verpresst werden kann. Meist ist zunächst ein vorgeschalteter Trocken-Kompaktierungsschritt notwendig, nach dem das kompaktierte Material wieder zerkleinert werden muss, damit eine einheitliche und definierte Korngröße für die Tablettierung erreicht werden kann. „Diesen Aufwand will man möglichst vermeiden“, erklärt Norbert Pöllinger und empfiehlt deshalb die Wirbelschicht-Granulations-Technik, mit der direkt ein verpressbares Granulat hergestellt werden kann: „Seitens Glatt stehen dafür die Topspray- oder Bottomspray-Technik zur Verfügung“, ergänzt Pöllinger. Dabei wird die alkoholische Lösung von Wirkstoff und Polymer in den Wirbelschichtapparat eingesprüht, das Lösemittel verdampft und zurück bleibt ein amorphes Produkt – auch Co-Präzipitat genannt. Der Fachbegriff steht für das Phänomen, dass Wirkstoff und Polymer in der Wirbelschicht gemeinsam ausgefällt werden.
„Theoretisch“, so Pöllinger, „ist auch die Herstellung im Single-pot-High-shear-Granulator möglich, doch das dauert sehr lange und oft geht das Granulat dabei wieder kaputt.“
Eine wichtige Zielgröße bei der Auswahl des besten Wirbelschicht-Granulations-Verfahrens ist die – je nach Produkt unterschiedliche – Schüttdichte des Granulats. Denn sowohl beim Topspray-Verfahren, als auch bei der Bottom-Spray-Alternative (Wurster-Prozess) entsteht häufig ein Granulat mit einer geringen Schüttdichte – oft lediglich 0,3 bis 0,4 g/ml.
Daneben gibt es zwei weitere Verfahrensvarianten, die direkt zu höheren Schüttdichten führen, so daß eine zusätzlich Vorkompaktierung vermieden werden kann: Die Tangential-Spray-Wirbelschicht und der Kombinationsprozess Twinpro. Bei ersterem wird die Lösung am Ort der sowieso schon größten Schüttdichte, nämlich direkt über dem Wirbelschichtboden, tangential unter Bett eingesprüht.
Im Gegensatz dazu kombiniert der 2018 vorgestellte Twinpro-Apparat die Verfahren Wirbelschichtgranulation und High-shear-Granulation. Durch das Rührwerk des High-shear-Mischers wird das Granulat noch stärker verdichtet. „Insbesondere bei der Verarbeitung von hoch wirksamen Stoffen hat diese neue Technologie Potenzial“, ist sich Pöllinger sicher. „Der bei klassischen Granulationslinien notwendige Transfer des feuchten Granulats in den Wirbelschichttrockner ist bei der Twinpro-Technologie erforderlich, da High-shear-Granulation und Wirbelschichttrocknung in einem Gerät erfolgen.“
Pellets im Konti-Prozess erzeugen
Häufig sollen die Wirkstoffe zu Pellets verarbeitet werden. Dies geschieht, indem in einer Wirbelschicht (Wurster-Prozess) Zucker- oder Zellulosekügelchen vorgelegt und die organische Lösung aus Wirkstoff und Polymer einsprüht wird. Dabei bildet sich auf den vorgelegten Starterpellets eine Wirkstoff-Schicht aus, die dieselbe Qualität wie das beschriebene Granulat hat, aber als Schicht auf den Pellets liegt.
Wird eine extrem hohe Beladung von Pellets mit der amorphen festen Dispersion gefordert, sind Matrix-Pellets die Form der Wahl: Diese werden in den kontinuierlich arbeitenden Wirbelschicht-Prozessen Micropx und Procell hergestellt. Diese Technologien erlauben es, Pellets zu erzeugen, die zu 100 % aus der amorphen Wirkstoff-Polymer-Matrix bestehen. „Die von Glatt-Ingenieurtechnik entwickelte Technologie ist bereits seit rund zwei Jahrzehnten in verschiedenen Industriebereichen im Einsatz, aber wir wollen das Verfahren jetzt auch stärker im pharmazeutischen Bereich nutzen“, erklärt Norbert Pöllinger.
Solid dispersions: das Tensid als Lösungsvermittler
Die beiden Wirbelschicht-Verfahren bilden auch die Grundlage für die zweite Technoolgie, mit der wasser-unlösliche Wirkstoffe in Lösung gebracht werden können: die solid dispersions. Diese entstehen aus der Kombination eines Wirkstoffs mit einem Lösungsvermittler – einem Tensid. Tenside bestehen aus Molekülen mit einem fettlöslichen (lipophilen) und einem wasserlöslichen (hydrophilen) Ende. In Wasser gelöst, bilden Tenside sogenannte Mizellen, in deren lipophilem Kern das wasserunlösliche Wirkstoffmolekül solubilisiert wird.
Ein konkretes Beispiel ist die Produktion des Antibiotikums Clarithromycin in Form von Mikropellets, die vor der Einnahme durch Zugabe von Wasser in eine flüssige Form überführt werden. Der extrem bittere Wirkstoff hat bei Raumtemperatur eine Löslichkeit von 0,3 mg/L. Wirksam wird das Medikament dann, wenn Dosen zwischen 250 und 500 mg verabreicht und im Körper auch ins Blut aufgenommen werden. Um die notwendige Löslichkeit von Clarithromycin zu erreichen und gleichzeitig den extrem bitteren Geschmack zu maskieren, wird der Wirkstoff im Solid-Dispersion-Verfahren mit einem Binder (PVP-Typ) und dem Solubilizer Poloxamer 188 zu Mikropellets verarbeitet, die zweifach gecoatet sind: Die erste Schicht dient der Versiegelung, das zweite Coating der Geschmacksmaskierung.
Die 150 bis 500 µm großen Pellets werden mit dem kontinuierlich arbeitenden Wirbelschichtprozessen Micropx oder Procell erzeugt. Die Verfahren zeichnen sich nicht nur durch die kontinuierliche Betriebsweise, sondern auch durch die hohe Produktausbeute – im Beispiel der Clarithromycin-Mikropellets > 95 % – aus.
Sprüherstarrung von Schmelzen
Solid Dispersions lassen sich auch aus Schmelzen herstellen. So konnte beispielsweise die Wasserlöslichkeit eines API von 13 mg/L auf 200 mg/L gesteigert werden. Bei diesem Prozess werden das Tensid und der Wirkstoff geschmolzen, in die Wirbelschicht eingesprüht und erstarren dort. Kann der Wirkstoff nicht geschmolzen werden, ist es möglich, diesen als Pulver in die Wirbelschicht zu geben und das geschmolzene Tensid aufzusprühen.
Die Beispiele zeigen, wie komplex der Auswahlprozess ist. Norbert Pöllinger: „Die beste Lösung zu finden, ist nicht einfach – am besten gelingt das im intensiven Austausch zwischen Pharmazeut und Maschinenlieferant.“