„Alternativen sind eher ein Ersatz mit Abstrichen“

Interview mit Christian Geubert, Product Leader Sealing Materials, Angst+Pfister

Die EU hat im August einen Zwischenstand zum PFAS-Beschränkungsvorschlag veröffentlicht. Welche Auswirkungen das Dokument auf die Industrie hat, erklärt Christian Geubert, Product Leader Sealing Materials bei Angst+Pfister im Interview.

Frauenhände mit Akten am Schreibtisch

PF: Was steht im „Background Document“ der EU zu PFAS drin – und was bedeutet das für Dichtungen?

Christian Geubert: Es handelt sich um einen Zwischenstand zum PFAS-Beschränkungsvorschlag. Das Dokument soll die bisherigen Beratungen sowie die zahlreichen, teils tausendfachen Stellungnahmen zusammenführen. Für den Bereich Dichtungen gilt nach aktuellem Stand: Fluorpolymere sollen nicht sofort verboten werden, würden jedoch in die Kategorie „Beschränkung mit Auslauf“ fallen – was de facto einem Verbot nach 13,5 Jahren (zwölf Jahre plus 18 Monate) entspricht. Endgültig ist dies glücklicherweise noch nicht entschieden; bis zur Parlamentsabstimmung bleibt vieles offen. Dennoch muss die Branche mit weiteren rund zwei Jahren regulatorischer Unsicherheit rechnen.

PF: Betrifft das alle Branchen gleichermaßen – oder gibt es Ausnahmen?

Geubert: Es zeichnet sich ab, dass im Rahmen des allgemeinen PFAS-Verbotsvorschlags einige Sektoren Ausnahmen oder längere Übergangsfristen erhalten sollen – insbesondere dann, wenn technisch gleichwertige Alternativen derzeit nicht verfügbar sind, etwa in Teilen der Elektronikfertigung. Für die Dichtungstechnik hingegen wurden solche fehlenden Alternativen bislang nicht anerkannt. Dieser Bereich wurde leider in die „13,5-Jahre-Schublade“ einsortiert – offenbar in der Hoffnung, dass bis dahin neue, geeignete Werkstoffe entwickelt werden.

PF: Warum sind PFAS-haltige Dichtungen in Pharma- und Lebensmittelprozessen überhaupt so verbreitet?

Geubert: Dies liegt an der Bündelung wesentlicher Eigenschaften: chemische Inertheit, Temperatur- und Medienbeständigkeit, geringe Permeation, lange Lebensdauer und damit niedrige Leckagerisiken. In Reinraum-, Steril- und CIP/SIP-Umgebungen benötigen Betreiber genau diese Kombination – nicht nur eine einzelne Eigenschaft. Aus diesem Grund wurden FKM, FFKM oder PTFE häufig als Universallösungen spezifiziert.

Christian Geubert
Christian Geubert ist Product Leader Sealing Materials bei Angst+Pfister

PF: Das Background-Paper nennt „Alternativen“. Sind die für kritische Anwendungen gleichwertig?

Geubert: Nein – die genannten und bekannten „Alternativen“ sind eher als „Ersatz mit Abstrichen“ zu verstehen. Elastomere wie EPDM, HNBR oder Silikon funktionieren in bestimmten Teilanwendungen – etwa in wässrigen oder fettigen Umgebungen bei moderaten Temperaturen. Sie decken jedoch nicht das gesamte Spektrum an Temperatur-, Chemikalien- und Lebensdauervorgaben ab, das in der Pharma- und Lebensmittelpraxis erforderlich ist. Mitunter sprechen wir hier über Unterschiede von „zehn Jahren versus wenige Tage“ oder von nur einem Drittel der Lebensdauer – das ist kein gleichwertiger Ersatz.

PF: Was wären die Konsequenzen, wenn Betreiber von PFAS-Dichtungen abrücken müssen?

Geubert: Kürzere Standzeiten, häufigere Stillstände, engere Wartungsfenster, größere Variantenvielfalt im Ersatzteil- und Dichtungslager – und insgesamt höhere Gesamtkosten. In 24/7-Betrieben mit CIP/SIP kann das schnell teuer werden. Zudem steigt nicht nur das Leckagerisiko, wenn Wartungszyklen verkürzt und Aggregate häufiger geöffnet werden.

PF: Wie schätzen Sie die Marktwirkung des Dokuments in der Industrie ein?

Geubert: Investitionsentscheidungen werden verzögert und Verlagerungen von Prozessen werden geprüft. Weitere Anbieter könnten sich aus dem Bereich Hochleistungsfluorelastomere zurückziehen – mit Folgen für Verfügbarkeit und Preise. International entsteht Asymmetrie: Die USA diskutieren Ausnahmen für Fluorpolymere, während China teils andere Regeln umsetzt. Europa wird genau beobachtet – mit möglichen Standort- und Wettbewerbsfolgen.

PF: Welche Rolle kann Monitoring spielen, um kürzere Standzeiten abzufedern?

Geubert: Predictive-Maintenance-Konzepte für Dichtungen existieren – etwa Leckage-Zwischenräume, die Analyse von Prozess-Vibrationen sowie von Druck- und Temperatur-Kollektiven. In der Praxis scheitern sie jedoch oft am Kosten-Nutzen-Verhältnis. Für Offshore- oder Hochrisiko-Anlagen lohnt sich der Einsatz, in der Breite eher nicht. Was sofort wirkt, sind konsequente Lebensdauer-Datenbanken pro Medium und wartungsfreundliche Modulkonzepte.

PF: Was bedeutet das Besprochene für Kosten und Verbraucherpreise?

Geubert: Technische Komplexität verschwindet nicht – sie schlägt sich irgendwo nieder: in höheren Wartungskosten, mehr Ersatzteilen und längeren Validierungen. Am Ende trägt ein Teil davon der Markt, also letztlich wir alle mit unseren Geldbeuteln. Umso wichtiger ist es, dort zu substituieren, wo es technisch sauber funktioniert, und an den Stellen nicht nur befristete Ausnahmen zu ermöglichen, wo Sicherheit und Qualität einfach zwingend notwendig sind.

O-Ringe
Dichtungen aus PFAS-„Alternativen“ funktionieren in bestimmten Teilanwendungen.