Dem KI-Kollegen vertrauen
Mehr Wertschöpfung im Qualitätsmanagement
Der Einsatz von KI wird im Qualitätsmanagement oft zurückhaltend betrachtet – gerade in der hochsensiblen Pharmaindustrie. Doch da es in diesem Bereich um viele repetitive Aufgaben im Umgang mit Daten geht, besteht ein großes Wertschöpfungspotenzial.
In der (Bio-)Pharmazie gibt es mittlerweile einen breiten Konsens darüber, dass die Einführung fortschrittlicher Technologien wie KI der Schlüssel für signifikante Qualitäts- und Effizienzsteigerungen sein kann. Die meisten Unternehmen schaffen es jedoch nicht, Pilotprojekte unternehmensweit zu skalieren und für routinemäßige Geschäftsprozesse einzusetzen.
Dies hat mehrere Gründe: Die Datenqualität ist für viele kritische Anwendungsfälle einfach noch nicht ausreichend, um zuverlässige Ergebnisse zu erzielen. Gleichzeitig fehlt es oft an einer strukturierten Priorisierung von KI-Anwendungsfällen, die sich strikt am jeweiligen Nutzen orientiert. Außerdem liegt die Messlatte für den Einsatz von KI im GxP-Umfeld sehr hoch, und die Einhaltung von regulatorischen Vorgaben muss entsprechend nachgewiesen werden.
Früher Einsatz von KI lohnt sich
In der Bewertung von Chancen und Risiken von KI ist in der biopharmazeutischen Industrie inzwischen ein klares Übergewicht des Nutzens zu verzeichnen: Das regulatorische Umfeld wird zunehmend positiver, da auch die zuständigen Behörden den übergreifenden Nutzen erkennen und die Anwendbarkeit von bewährten Risiko- und Validierungsprinzipien neue Technologien kontrollierbar gemacht hat. Eines dieser Prinzipien ist, dass je nach der beabsichtigten Verwendung und dem identifizierten Risiko Kontrollstrategien angewendet werden, die einen menschlichen Überprüfungsschritt verpflichtend vorsehen.
Unternehmen, die sich früh mit KI auseinandergesetzt haben, können außerdem die gewonnenen Erkenntnisse einsetzen, um Investitionen am jeweiligen Nutzen zu orientieren. Aufgrund des höheren Reifegrads sind KI-Strategien inzwischen nicht mehr darauf ausgerichtet, Experimente und Piloten in der Breite zu fördern, sondern sich auf eine Roadmap für die priorisierten Anwendungsfälle zu konzentrieren.
Schwerpunkte bei dieser Priorisierung liegen auf den Themenbereichen intelligente Automatisierung, Gewinnung tieferer Erkenntnisse und Generierung von Inhalten.
Die technologische Errungenschaft, die dies möglich macht und den technologischen Wandel beschleunigt, sind KI-Sprachmodelle, die sogenannten Large Language Models (LLM).
LLMs im Qualitätsmanagement
Während traditionelle Software nicht mit menschlichem Handeln vergleichbar ist, agiert KI mit LLMs bereits eher wie ein Mensch. Traditionelle Software baut bei definierten Aufgaben auf einer spezifischen Logik auf. Sie arbeitet schnell, aber auch deterministisch: Auf eine Frage wird sie immer die gleiche Antwort liefern, egal ob heute oder in fünf Jahren. Im Gegensatz dazu basieren die Ergebnisse einer KI mit LLMs auf Wahrscheinlichkeiten, die aus ihrem Training mit einer Vielzahl von Informationen gewonnen wurden. Das macht die KI weniger vorhersehbar; ihre Antworten können variieren – insbesondere dann, wenn sie kontinuierlich mit neuen Daten gefüttert wird.
LLMs sind in der Lage, strukturierte und unstrukturierte Informationen innerhalb von Sekunden zu synthetisieren. Dadurch können komplexe Aufgaben automatisiert und beschleunigt werden, was mit traditionell deterministischen Systemen so nicht möglich war. Diese Fähigkeit eröffnet viele neue Möglichkeiten, unter anderem bei der Nutzung von Chatbots, die Nutzern helfen können, benötigte Informationen schnell und benutzerfreundlich zu finden. Durch ihre Integration in gängige Arbeitsabläufe unterstützen solche KI-Tools Anwender dabei, ihre Aufgaben effizienter und präziser zu erledigen – was wiederum ihren Wert für das Unternehmen steigert.
Qualitätsmanagement auf Kurs bringen
Auch im GxP-Umfeld gab es zu Beginn viele verschiedene Ideen, wie Prozesse mit KI verbessert werden können. Inzwischen konzentrieren sich Qualitätsabteilungen auf Anwendungsfälle, die entweder Automatisierung, tiefere Erkenntnisse oder die Erstellung von Inhalten bezwecken.
Intelligente Automatisierung zielt auf repetitive, aber komplexe Aufgaben ab, die zeitaufwändig für Menschen sind. Beispiele dafür sind das automatische Sortieren von Qualitätsvorfällen, das intelligente Auslesen und Erfassen von Daten aus eingehenden Dokumenten sowie die automatisierte Analyse der internen Auswirkungen von regulatorischen Änderungen.
Generell bezwecken diese Anwendungsfälle nicht, menschliches Urteilsvermögen zu ersetzen, sondern Entscheidungen zu unterstützen und zu beschleunigen. KI wird in Zukunft tiefere, qualitätsrelevante Erkenntnisse liefern, indem sie Muster identifiziert, die mit dem menschlichen Gehirn allein schwer zu erkennen oder vorherzusagen sind. Beispiele hierfür sind das automatische Erkennen von Wiederholungen und Duplikaten von Qualitätsproblemen oder das asynchrone Erkennen von Qualitätstrends, sodass das System proaktiv die verantwortlichen Qualitätsexperten alarmieren kann.
LLMs bilden außerdem die Grundlage für die Fähigkeiten von generativer KI. Die kontextbezogene Erstellung von Inhalten kann in unterschiedlichen Qualitätsprozessen zu qualitativen Verbesserungen führen, zum Beispiel durch die Vereinfachung und Automatisierung von Berichten aus verschiedenen Quellen. Die Erstellung einer narrativen Zusammenfassung einzelner Qualitätsdatensätze kann dabei helfen, die komplexe Aufgabe der Zusammenführung von Informationen für jährliche Produktqualitätsberichte (APQRs) oder Chargenfreigaben zu erleichtern.
seiner nicht-deterministischen Natur ähnelt ein KI-Agent einem fähigen Kollegen, der schnell arbeitet, aber auch Fehler macht. Daher erfordern alle Aufgaben, die von LLM-gesteuerter KI ausgeführt werden, Prozesse, in denen der Mensch KI-generierte Ergebnisse hinreichend überprüft. Interaktionen zwischen Qualitätsexperten und KI-Agenten müssen den Standardprinzipien des Peer-Reviews und des Vier-Augen-Prinzips folgen. Die Risiken für Produktqualität und Patientensicherheit sind immer noch zu hoch, um den Menschen vollständig aus kritischen Prozessen zu eliminieren.
Voraussetzungen für eine breite Nutzung von KI
Obwohl inzwischen hochrelevante KI-Anwendungsfälle im Bereich Qualität identifiziert wurden, bleibt die Verfügbarkeit von zuverlässigen Daten, die große Sprachmodelle (LLMs) füttern, eine Herausforderung. Biopharmazeutische Unternehmen begegnen diesem Problem, indem sie ihre fragmentierte Systemlandschaft auf wenige strategische Plattformen konsolidieren. Dies erfordert von Grund auf einen einheitlichen Datensatz, wodurch die Häufigkeit von doppelten oder potenziell inkonsistenten Daten reduziert werden kann.
Die Einführung neuer Funktionen über eine gemeinsame Technologieplattform schafft die Grundlage dafür, KI zukünftig auch in weiteren Bereichen einzusetzen, die sich derzeit noch in einer frühen Entwicklungsphase befinden. In der Qualitätskontrolle scheint dies zum Beispiel noch nicht im Fokus zu stehen. Viele Labore in der Qualitätskontrolle nutzen immer noch veraltete und proprietäre Systeme, die die Verwendung von KI erschweren. Der Übergang von veralteten Lösungen zu einem modernen Qualitätsmanagementsystem legt den Grundstein, um langfristig von KI profitieren zu können.
Investitionen in moderne Technologien allein reichen jedoch nicht aus. Unternehmen müssen sich klare Geschäftsziele setzen, geeignete Governance-Strukturen etablieren und sich auf organisatorisches Change Management vorbereiten. Wie der Chief Quality Officer eines globalen Biopharmaunternehmens einmal feststellte, geht es dabei weniger um Digitalisierung als darum, Mitarbeitern zu helfen, sich von „data rich to decision smart“ zu entwickeln. KI wird dabei genutzt, um Erkenntnisse zu gewinnen, die zuvor nicht verfügbar waren.
Besseres Vertrauen, stärkere Zusammenarbeit
Biopharmazeutische Unternehmen mit einer einheitlichen, vernetzten Technologieplattform und zuverlässigen Daten verfügen über die beste Grundlage, um leistungsstarke große Sprachmodelle (LLMs) einzuführen. Sobald KI-Anwendungsfälle messbaren Nutzen schaffen und in standardisierten Geschäftsanwendungen integriert sind, sind alle Voraussetzungen für eine breite Akzeptanz im Unternehmen erfüllt. Auch kleinere Organisationen können davon profitieren: Obwohl sie oft Gefahr laufen, bei der digitalen Transformation zurückzufallen, haben sie mit dem richtigen Timing als „second mover“ häufig die Möglichkeit, von technologischen Fortschritten und bewährten Branchenpraktiken zu profitieren.
Über den internen Nutzen von KI hinaus werden Unternehmen künftig nach Möglichkeiten suchen, den Datenaustausch mit Partnern zu optimieren und hierfür die notwendigen Parameter zu standardisieren. Bei erfolgreicher Umsetzung kann das Ergebnis eine signifikant bessere Zusammenarbeit innerhalb der Branche nach sich ziehen. Wie der globale Leiter des strategischen Qualitätsmanagements eines führenden CDMO erklärt: „Es gibt ein enormes Potenzial für KI im Bereich Qualität, da es so viele repetitive Aufgaben im Umgang mit Daten gibt. Aber man vertraut einem Geschäftspartner umso mehr, wenn auch das Vertrauen in die zugrunde liegende Datenbasis da ist.“