Kunststoffe

Die Weiterentwicklung vorhandener Werkstoffportfolios, um mit den gestiegenen Ansprüchen mithalten zu können, ist eine konstante Aufgabe führender Dichtungshersteller. (Bild: Angst+Pfister)

Sichere Lebensmittel oder Pharmazeutika bedingen vertrauenswürdige Partner. Bei Dichtungen sind kompetente Beratung und enge Zusammenarbeit zwischen Dichtungslieferant, Kunde und Endanwender wichtig.

Drei Themen entscheiden: Material, Compliance und Hygienic Design. Sie greifen ineinander und halten eine Balance – wie beim Hocker auf drei Beinen: Wenn jede Säule passt, ist er stabil. Wird eine vernachlässigt, besteht Gefahr. Ein guter Dichtungslieferant versteht die spezifischen Anwendungen und Anforderungen seiner Kunden – seien es kleine Stückzahlen oder schnelle Verfügbarkeit. Kunden- und Branchenverständnis, Kenntnis von Werkstoffen und Regularien sowie Anwendungswissen sind essenziell für den Entwurf von Dichtungen, die Kunden effizienter sowie Produkte hochwertiger und sicherer machen.

Es lassen sich zwei Trends im Markt erkennen: Immer mehr und schärfere Regulierungen schränken die Materialwahl ein. Gleichzeitig verlangen intensive Prozessbedingungen Dichtungen immer mehr ab: Sie werden von langen Wartungsintervallen mit hocheffizienten Reinigungszyklen und aggressiven Chemikalien bei höheren Temperaturen beansprucht. Wie wichtig Material und Beständigkeit sind, legte in der Juli-Ausgabe von Pharma & Food Reto Müller dar: Immer öfter sind vermeintlich teure Hochleistungselastomere die wirtschaftlichere Lösung. Beispielsweise konnten Pertec-Dichtungen von Angst+Pfister Wartungsintervalle von Produktionsanlagen entscheidend verlängern. Schlussendlich müssen die eingebauten Dichtungen vollständig gereinigt werden können. Beim Hygienic Design ist deshalb ein gutes Zusammenspiel mit dem Kunden gefragt.

Compliance vermeidet Einschränkungen

Regulierungen müssen am Anlagenstandort und in Verkaufsländern der hergestellten Produkte beachtet werden. Daraus folgt eine Globalisierung von Gesetzen und Normen für Werkstoffe, auch für Dichtungen. Als minimaler Stand der Technik gelten von der US-Amerikanischen Food and Drug Administration (FDA) zugelassene Dichtungen: Eine Positivliste bestimmt, welche Inhaltsstoffe zur Materialentwicklung eingesetzt werden dürfen.

Maximale Extraktionswerte definieren, wieviel aus dem ausvulkanisierten Produkt unter bestimmten Bedingungen austreten darf. In Europa wurden 2004 regulatorische Vorläufer in eine übergeordnete Verordnung gegossen: Die Verordnung (EG) Nr. 1935/2004 ist seither die Basisregelung für alle Materialien mit Lebensmittelkontakt. Für unterschiedliche Materialien wurden sodann Einzelrichtlinien erlassen – für Elastomere nicht. Deshalb gilt nationales Recht mit unterschiedlichen Bestimmungen. In Erwartung einer europäischen Regelung wurden sie teils nicht weiter gepflegt.

Wahrnehmung und Umsetzung der Regulierungen veränderten sich in den letzten Jahren stark. Wer sie nun nicht befolgt, setzt sich vermehrt Risiken aus: Reputationsverlust, Schadenersatzklagen, Gewinnminderungen, Geld- oder gar Haftstrafen. Kundenseitige Auditierungen nehmen zu. Das detaillierte Wissen in der Branche über Elastomer-Regulierungen ist allerdings unterschiedlich verbreitet. Die einen Kunden verfügen über spezifisches toxikologisch-chemisches Know-how. Andere werden von solchen Anforderungen unangenehm überrascht.

Nicht-konforme Dichtungen kommen leider im Markt immer noch vor – beispielsweise, wenn man sich der regulatorischen Konsequenzen einer neuen Anwendung nicht bewusst ist. Hier hilft ein aufmerksamer und kompetenter Dichtungspartner.

Im Spannungsfeld zunehmend intensiverer Produktionsbedingungen und internationaler Regulierungsdichte wird von Dichtungsingenieuren quasi erwartet, kompetitive «Formel-1-Wagen» mit sicherer Strassenzulassung zu bauen. Deshalb müssen führende Dichtungspartner über hohe Materialkompetenzen verfügen.

Gummimischungen, die – unter Einhaltung kombinierter Regulierungen – gegen Chemikalien, hohe Temperaturen und mechanischen Abrieb beständig sind, sind eine Kunst für die Materialentwickler.

Grafik
Die drei Säulen beim hygienischen Design für Dichtungen in der Prozessindustrie müssen individuell aufeinander abgestimmt sein. (Bild: Angst+Pfister)

Materialwahl mit Erfahrung

Je bessere und umfassendere Informationen der Dichtungslieferant erhält, umso besser gelingen Produktauswahl und Beratung. Zunächst schränken Regulierungen die Materialwahl ein, um den notwendigen Zertifizierungen gerecht zu werden. Erfahrene Kunden wissen, welche Märkte welche Zertifikate erfordern. Aber gerade, wenn mehrere Märkte ins Auge gefasst werden, ist der Rat der Elastomer-Entwickler hilfreich: Welche Zulassungen lassen sich wie kombinieren? Wo schlägt man mehrere Fliegen mit einer Klappe? Wo benötigt man unter Umständen zwei Werkstoffversionen?

Während die regulatorischen Anforderungen allgemein bekannt sind, sind detaillierte Informationen über die individuellen Prozessbedingungen nicht immer zugänglich: Geschäftsgeheimnisse werden in der Lieferkette nur soweit notwendig gelüftet. Dabei hat das Produktionsumfeld einen entscheidenden Einfluss auf die Materialwahl und Beständigkeit von Dichtungen – und damit auf die Wirtschaftlichkeit und Lebensmittelsicherheit von Anlagen. Wie werden Anlagen gereinigt und sterilisiert? Greifen die hergestellten Produkte Dichtungen an?

Dichtungsexperten können den Anlagenbetreibern Know-how und Erfahrung bieten, um Wartungsintervalle auf ein Minimum zu beschränken. Welches Material hält unter welchen Bedingungen am längsten? Was verhindert eine Verschleppung von Aromen? Welche Elastomere haben wofür unbedenkliche Extraktionswerte? Welche Dichtungen halten welchen Produktwechseln stand? Speziell in der Pharmaindustrie sind Informationen oft spärlich zu haben. So gehört auch der Umgang mit Informationsdefiziten zum Handwerk der Materialexperten: Anhaltspunkte wie «Kosmetika», «starke Aromen» oder «Fette» müssen manchmal reichen, um Dichtungen möglichst langlebig zu gestalten. Optimal ist das mit Blick auf die Lebensdauer von Dichtungen nicht, es ist aber Kennzeichen derartiger Märkte. Nur mit viel Erfahrung und hochwertigsten Werkstoffen lässt sich diesen Informationsdefiziten begegnen.

Grafische Darstellung einer Armatur Innen und Außen
Totraumarme Wellenabdichtung im Sinne des Hygienic Design, realisiert für ein kundenindividuelles Projekt für Van der Graaf durch Angst+Pfister Niederlande. Van der Graaf fertigt Trommelmotoren für Bandförderanlagen, unter anderem in der Lebensmittelindustrie. (Bild: Angst+Pfister)

Kooperation im Hygienic Design

Hygienic Design geht über die Konstruktion von Maschinen hinaus: Es beginnt bei der Gestaltung ganzer Produktionswerke und ihrer Prozesse, beeinflusst aber schlussendlich auch Dichtungen. Ziel ist die sichere Produktion von Lebensmitteln oder Pharmazeutika. Sie liegt in der Verantwortung der Hersteller zum Schutz ihrer Konsumenten. Die entsprechenden Leitlinien sind nicht gesetzlich verbindlich, aber als aktueller Stand der Technik anzusehen, den Hersteller beachten müssen. Sie stammen von zwei maßgeblichen Institutionen: der 3A-Sanitary Standards in den USA und der European Hygienic Design Equipment Group – kurz EHEDG. Beide kooperieren eng. Sie zielen auf eine möglichst hygienische Gestaltung der Produktionsumgebung und einfache Reinigung. Während 3A vor allem beschreibt, wie Bauteile geometrisch konstruiert sein sollen, entwickelt die EHEDG auch praktische Tests. 3A wird vornehmlich in den oder für die USA gefordert. Die EHEDG war zunächst im europäischen Raum aktiv, ist aber inzwischen auch global bedeutend. Entsprechende Leitlinien werden von Fachgruppen aus der Industrie diskutiert und ähnlich Normen weiterentwickelt.

Beim Hygienic Design für Dichtungen geht es vor allem um die Form. Natürlich dürfen keine Bestandteile des Materials in die verarbeiteten Produkte diffundieren – auch deshalb sind Entwicklungen wie beispielsweise antibakterielle Gummimischungen bisher wenig überzeugend. Die wichtigste Frage lautet weiterhin: Welche Form und welcher Einbau erlauben die beste Reinigung? Überall, wo das Gehäuse einer Produktionsanlage geteilt werden muss, kommen Dichtungen zum Einsatz. Damit diese hygienisch bleiben, müssen sie möglichst bündig anliegend sein – also keine Spalten, Vorsprünge oder ähnliches bieten, wo sich Schmutz ansammeln kann.

Die klassischste Dichtungsform sind O-Ringe. Sie haben allerdings Einschränkungen beim Hygienic
Design – speziell bei dynamischen Anwendungen. Auch deshalb beobachtet man seit Jahren einen Trend zu maßgefertigten Formteilen. Sie weisen zusätzliche Vorteile auf und können ihrer Anwendung deutlich besser gerecht werden. Bei manchen sind sie gar zwingend notwendig – etwa bei speziellen Lippen, Abstreifern oder Wellendichtringen.

Kompetente Dichtungslieferanten arbeiten dafür vertrauensvoll und eng mit dem Kunden zusammen, am besten bereits bei Entwicklungsbeginn. So muss am Ende in eine existierende Nut nicht «noch schnell» eine Dichtung eingefügt werden. Der Lieferant kann sich frühzeitig mit seinem Wissen zu Compliance, Material-Know-how und Hygienic Design einbringen. Um beim Bild des dreibeinigen Hockers zu bleiben: So bleibt er lange stabil.

 

Grafische Darstellung zur Firma
Eine dynamische Welt: aktuell relevante Regulierungen für Elastomerdichtungen (Bild: Angst+Pfister)

Entscheider-Facts

  • Beim Entwickeln hygienischer Dichtungen gilt es, Regularien und Nutzeranforderungen mit geeigneten Werkstoffeigenschaften zu vereinen.
  • Kompetente Dichtungsanbieter beziehen Anwender von Anfang an in den Entwicklungsprozess ein, um Konflikte dieser Faktoren zu vermeiden und hochwertige Lösungen zu liefern.

Sie möchten gerne weiterlesen?