Nach Vergleich in Opioid-Streit

US-Gericht kippt Immunitätsdeal von Purdue-Eignerfamilie Sackler

In der Opioid-Krise kann sich die Eignerfamilie des US-Pharmakonzerns Purdue vorerst nicht mit einem Vergleich 4,5 Mrd. US-Dollar aus der Verantwortung ziehen. Eine Bundesrichterin bewertete den im Vergleich gewährten Rechtsschutz als unzulässig.

Paragraphensymbol zwischen Medikamentenkapseln

Als Hersteller des Schmerzmittels Oxycontin ist Purdue Pharma zu einem Hauptverantwortlichen in der Opioid-Krise der USA geworden. Nach einem Anfang September 2021 getroffenen Vergleich soll die mittlerweile insolvente Firma insgesamt 4,5 Mrd. US-Dollar zahlen, um zahlreiche Klagen beizulegen. Als Teil dieses Vergleichs hatte die Eigentümerfamilie Sackler ausgehandelt, nicht persönlich juristisch belangt werden zu können.

Ein solcher Rechtsschutz ist bei einem Bankrott nicht unüblich, wird aber in der Regel nur dem Unternehmen oder der Person selbst gewährt, die die Insolvenz angemeldet hat. Purdue hatte bereits im Herbst 2019 unter dem Druck zahlreicher Klagen die Insolvenz beantragt. Gegen die Sacklers besteht dagegen der Vorwurf, mit diesem Zug ihr Privatvermögen von geschätzt rund 11 Mrd. US-Dollar vor Schadensansprüchen retten zu wollen. Sogar eine Haftstrafe könnte den Verantwortlichen Opioid-Produzenten drohen, wie der Fall gegen John Kapoor, Gründer und Ex-CEO des Pharmaunternehmens Insys Therapeutics, gezeigt hat.

Schnelle Rechtssicherheit für Zivilgerichte

Den umstrittenen Schutz der Familie Sackler vor Zivilklagen hat Bundesrichterin Colleen McMahon am Donnerstag, 16.12.2021, vorerst gekippt, schreibt die New York Times in einem ausführlichen Bericht: Der vom Insolvenzgericht gewährte Schutz sei Teil einer „ungelöste Frage“ und könne nicht ohne weiteres zugesagt werden, da die Sacklers keine Privatinsolvenz angemeldet haben. Daher könnten sie als Eigentümer auch nicht von der Verantwortung des Unternehmens in Opioid-Klagen befreit werden. Purdue und die Sacklers kündigten innerhalb von Stunden an, das Urteil anzufechten. Richterin McMahon selbst ermutigte höhere Instanzen, das Urteil zu prüfen, denn insbesondere die Zivilgerichte seien in dieser Frage auf schnelle Rechtssicherheit angewiesen.

Durch die in den USA derzeit epidemiehaft verbreitete Opiat-Abhängigkeit sind nach Angaben der New York Times mehr als 500.000 Menschen gestorben. Pharmakonzernen wird dabei vorgeworfen, die Risiken von opioid-basierten Schmerzmitteln heruntergespielt und gleichzeitig die Medikamente mit aggressiven Methoden vermarktet zu haben, was die Opioid-Krise verursacht und befeuert hat. Im ganzen Land sind Klagen von Privatpersonen, Bezirksregierungen und ganzen Bundesstaaten gegen verschiedene Opioid-Hersteller anhängig. Pharmakonzerne wie Johnson&Johnson haben bereits Milliarden in Vergleichen gezahlt, ohne jedoch eine Schuld oder Verantwortung an der Krise einzugestehen.

10 gescheiterte Markteinführungen

Schema: Querschnitt durch ein menschliches Auge
Beovu, ein Medikament von Novartis gegen altersbedingte Makula-Degeneration, eine bis zu Blindheit führende Erkrankung der Netzhaut, sollte den Blockbustern der Konkurrenz –Eylea von Regeneron, Lucentis von Roche – Marktanteile abjagen. Nach der Zulassung im Oktober 2019 sollte das Mittel bis 2021 rund 4,38 Mrd. US-Dollar einfahren. Jedoch stellten sich die Sicherheitsrisiken im Vergleich zu den Wettbewerbern als größer heraus – übrig blieb ein vergleichsweise magerer Umsatz von nicht einmal 300 Mio. Dollar.
Nahaufnahme, Kanüle in Glasvial mit Dengue-Fieber-Impfstoff
Die breite Öffentlichkeit ist erst durch Covid-19 damit vertraut, dass Impfstoff-Zulassungen große Erwartungen wecken können – in der Pharmabranche ist dies schon länger geläufig. Ein Hoffnungsträger war Dengvaxia, ein von Sanofi für rund 1,5 Mrd. Dollar und über einen Zeitraum von fast 20 Jahren entwickelter Impfstoff gegen Dengue-Fieber. 2015 erfolgten die ersten Zulassungen, 2020 war der erzielte Umsatz so irrelevant gering, dass Sanofi ihn in der Bilanz nicht einmal in separaten Zahlen aufschlüsselte. Auch hier erfolgte der Genickbruch durch Sicherheitsbedenken, die in einen handfesten Skandal mündeten. Beispielsweise beendeten die Philippinen ihr Impfprogramm mit dem Wirkstoff und verlangten eine Erstattung der Kosten.
Person streicht mit einer Hand Salbe auf den anderen Handrücken
Pfizer steckte 2016 5,2 Mrd. USD in die Übernahme von Anacor Pharmaceuticals. Besonders interessiert war der Konzern an dem Wirkstoff Crisaborol gegen atopische Ekzeme. Die klinischen Studien verliefen gut, und die erste Zulassung des Medikaments unter dem Namen Eucrisa erfolgte wenige Monate nach der Übernahme von Anacor. Pfizer wollte vor allem Kinder und Jugendliche mit dem Mittel bedienen, hatte aber die Rechnung auf bis zu 2 Mrd. USD Jahresumsatz ohne die Konkurrenz gemacht: Kurz nachdem Eucrisa für Kinder und Jugendliche zugelassen wurde, erhielt das von Sanofi und Regeneron entwickelte Medikament Dupixent die gleiche Zulassung, und übertraf den Pfizer-Wirkstoff in fast jeder Hinsicht. Auch das Merketing zur Markteinführung scheiterte, Eucrisa brachte in den ersten drei Jahren nach der Zulassung zusammengerechnet nur etwas mehr als 350 Mio. USD Umsatz – weit entfernt von den erhofften 2 Mrd. pro Jahr.
Schematische Darstellung des Platelet derived growth factor receptor, Ziel des Medikaments Latruvo
Das vom US-Konzern Eli Lilly entwickelte Krebsmedikament Lartruvo hatte vor seiner Zulassung 2016 noch eine Sonderbehandlung der FDA bekommen: Das Mittel gegen das sogenannte Weichteilsarkom ging im Eilverfahren zur Zulassung. Die Umsätze von 203 Mio. USD im Jahr 2017 und 305 Mio. USD 2018 versprachen mehr für die kommenden Jahre. Allerdings ließen sich wichtige Ergebnisse aus Phase-3-Studien nicht bestätigen – Lartruvo brachte in Kombination mit etablierter Chemotherapie keinen Vorteil gegenüber der Chemotherapie allein. Im September 2019 zog Eli Lilly das Arzneimittel vom Markt, nachdem sowohl die FDA als auch die EMA von dessen Einsatz abgeraten hatten. Im Bild schematisch dargestellt ist das Ziel-Protein des Medikaments, der "Platelet derived growth factor receptor".
Person mit weißem Kittel hält Modell eines Gehirns in einer Hand, eine blaue Kapsel in der anderen.
Das Antipsychotikum Nuplazid von Arcadia Pharmaceuticals hatte es schon wegen Sicherheitsbedenken nicht leicht, überhaupt eine Zulassung durch die FDA zu ergattern, die 2016 dann doch erfolgte. Trotz dieser Startschwierigkeiten sagten Analysten dem Medikament gegen Halluzinationen bei Parkinson-Patienten bis 2020 einen möglichen Blockbuster-Status mit einem Spitzenumsatz von 841 Mio. USD voraus – schwere Nebenwirkungen seien bei Antipsychotika zu erwarten. Rund zwei Jahre nach der Zulassung erschütterten jedoch Medienberichte über hunderte von Todesfällen durch Nuplazid das Vertrauen in das Medikament gänzlich. Misserfolge in klinischen Studien folgten, und Arcadia erwirtschaftete 2020 mit dem Mittel gerade mal halb so viel wie erhofft.
Darstellung eines übergewichtigen Menschen, mit Detailaufnahme verfetteter Leberzellen.
Ursprünglich hatte Hersteller Intercept Pharmaceuticals sein Medikament Ocaliva entwickelt, um eine fortschreitende Verfettung der Leber bei chronischem Übergewicht zu behandeln – ein extrem lukrativer Markt, und Analysten räumten Intercept Chancen auf Umsätze bis zu 8,6 Mrd. USD ein. Die FDA ließ sich jedoch bislang nicht von der Wirksamkeit von Olicava bei dieser Art von Erkrankung überzeugen, und hat das Mittel allein gegen die seltene primär biliäre Cholangitis zugelassen, eine Autoimmunerkrankung der Leber. Damit ließen sich im Jahr 2020 rund 313 Mio. USD umsetzten – enttäuschend, verglichen mit den Milliardenhoffnungen.
Schema des Enzyms Poly-ADP-ribose-polymerase 1 (PARP-1)
Rubraca, ein Medikament gegen Eierstock- und Prostata-Krebs von Clovis Oncology, trat Ende 2016 gegen starke Konkurrenz an: Astrazeneca und Merck&Co hatten gemeinsam bereits zwei Jahre früher das vergleichbare Lynparza zur Zulassung gebracht. Im März 2017 folgte mit Zejula von Tesaro ein weiterer Wettbewerber. Trotzdem zeigten Marktanalysen, dass Rubraca signifikante Marktanteile gewinnen und im Jahr 2021 immerhin bis zu 663 Mio. USD einbringen könnte. Diese Analysen waren ganz offensichtlich falsch: Rubraca verlor das Rennen um Längen und erzielte in der ersten Jahreshälfte 2021 einen Umsatz von knapp 75 Mio. USD, Lynparza brachte im selben Zeitraum mehr als eine Milliarde. Bei beiden Mitteln handelt es sich um Hemmstoffe gegen das dargestellte Enzym Poly-(ADP-ribose)-Polymerase 1 (PARP-1).
Person sticht mit elektronischem Blutzucker-Tester in die Fingerkuppe
Mit der Beteiligung an Lynparza war Merck&Co noch erfolgreich, doch eine andere Partnerschaft war weniger gesegnet. Das zusammen mit Pfizer entwickelte Arzneimittel Steglatro gegen Typ-2-Diabetes kam 2017 auf einen Markt, in dem mehrere große Pharmakonzerne schon Jahre zuvor mit Blockbustern abgeräumt hatten. Den Entwicklern gelang es nicht, Therapien mit Steglatro gegenüber diesen starken Wettbewerbern abzuheben, trotz deutlich niedrigerer Preise. Der wahrscheinliche Todesstoß für Steglatro kam schließlich mit dem keine drei Wochen später zugelassenen Ozempic von Novo Nordisk, das aufgrund deutlich besserer Studienergebnisse 2020 über 3 Mrd. USD einbrachte. Merck&Co / Pfizer haben für Steglatro gar nicht erst Zahlen veröffentlicht.
Makrele, Fischöl und Fischöl-Kapseln
Der Cholsterol-Senker Vascepa von Amarin war bereits sieben Jahre auf dem Markt, als eine weitere FDA-Zulassung große Umsatzhoffnungen lostrat: Das auf Fischöl basierende Medikament war 2019 die erste zugelassene Alternative für Patienten, bei denen die etablierten Statine keine Wirkung zeigen. Allerdings kassierte schon 2020 ein US-Gericht Amarins Patent für Vascepa, das lediglich zu 100% aus der Omega-3-Fettsäure Eicosapentaensäure besteht. Das Gericht sah keine ausreichende Besonderheit für ein Patent. Mittlerweile sind erste Generika auf dem Markt, und mit solch günstigen Alternativen ist Vascepa von den für 2020 angepeilten 1,5 Mrd. USD fast eine Milliarde weit entfernt geblieben.
Hand mit Pinzette entnimmt symbolisch Baustein aus schematisch dargestellter DNA
Kurz vor der EU-Zulassung im Juni 2019 galt die Gentherapie Zynteglo des Biotech-Startups Bluebird Bio noch als einer der Top-Titel des Jahres, bis 2024 sollten die Jahresumsätze auf 1,87 Mrd. USD klettern. Aber die Markteinführung der Therapie gegen die Blutkrankheit Beta-Thalassämie stand unter keinem guten Stern: Erst verlangte die europäische Behörde EMA Nachbesserungen an den Spezifikationen. Nach weiteren Verzögerungen erhielt schließlich im Februar 2020 in Deutschland der erste Patient eine Injektion der Gentherapie – praktisch mit Einsetzen der Covid-Pandemie. Hinzu kamen Verdachtsfälle aus klinischen Studien, dass Zynteglo das Blutkrebs-Risiko steigern könne. Als noch größerer Stolperstein für Milliardenumsätze erwiesen sich nicht zuletzt die Bedenken, dass keine Versicherung die von Bluebird veranschlagten 1,5 Mio. Dollar für die Therapie übernehmen würde. In Deutschland scheiterte das Unternehmen mit einem vorgeschlagenen Fünjahresplan zur Finanzierung und zog das Medikament vom deutschen Markt. Eine US-Zulassung durch die FDA steht noch aus, bislang hat Zynteglo noch keine Einnahmen generiert.

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